Wo geht’s denn hier ins Paradies?
Männergesicht … es kam ihr irgendwie bekannt vor.
„Sie schon wieder!“ Sie rappelte sich hoch. „Haben Sie sich vorgenommen, mich umzubringen?“
Irritiert sah der Mann sie an. „Ellen! – Das ist ein Zufall!“ Er half ihr auf, und während er ihre Hand festhielt, dachte er: Nein, das ist ein Wink des Schicksals!
„Was machen Sie hier am Chiemsee?“
„Sightseeing. Wie ein ganz gewöhnlicher Tourist.“ Sie klopfte sich den Staub von der hellen Leinenhose.
„Das ist … ich bin … es ist …“ Hilflos schüttelte er den Kopf. „Wissen Sie eigentlich, wie verzweifelt ich versucht habe, Sie ausfindig zu machen?“
„Wirklich?“ Sie wurde ein wenig rot.
„Ja. Wirklich. Warum haben Sie mir eine falsche Adresse gegeben?“
„Hab ich doch gar nicht!“ Sie zuckte mit den Schultern. „Nur … ich hab damals in der Aufregung gar nicht bedacht, dass der Salon Hunold ja in Hamburg ist. Man hatte mich extra für eine besonders wichtige Kundin mit dem Flieger nach München geschickt.“
„Und ich hab nicht näher nachgefragt.“ Er nahm ihren Arm. „Kommen Sie, jetzt lass ich Sie nicht so einfach wieder fort. Wollten Sie zur Fraueninsel oder nach Herrenchiemsee?“
„Erst mal zum Schloss.“
„Darf ich Sie begleiten? Ich bin ein super Reiseführer. Den Chiemsee und seine Schönheiten kenne ich wie meine Westentasche.“
„Das ist sicher übertrieben“, schmunzelte Ellen.
„Aber nein. Ich lebe die meiste Zeit hier. Ich arbeite hier … da werde ich wohl die schönsten Plätze zum Entspannen kennen!“ Er führte sie zum Bootssteg, löste zwei Fahrkarten – und eine viertel Stunde später fuhren sie mit einem der weißen Boote hinüber zur Insel Herrenchiemsee.
Während der kurzen Strecke gab es nur ein Thema: das Missverständnis, das Karsten daran gehindert hatte, Ellen wiederzusehen.
„Ich hab das Telefonbuch durchgeforstet, hab die Auskunft angerufen … sogar im Sender hab ich mich umgehört. Doch selbst die modebewussteste Kollegin hatte noch nicht von einem Modehaus Hunold gehört.“
Ellen lächelte. „Ist ja auch hier in Bayern nicht so einfach. In Hamburg und Umgebung kennt man das Haus auf jeden Fall.“ Sie drehte sich noch ein wenig mehr zu ihrem Begleiter um. „Ich hab mich wohl in der Aufregung einfach falsch ausgedrückt.“
Er legte den Arm, der bisher locker auf der Rückenlehne der Holzbank geruht hatte, jetzt um ihre Schultern und zog Ellen ein wenig fester an sich. „Dann schließe ich daraus, dass ich Sie bei unserer ersten Begegnung wenigstens ein bisschen verwirrt habe.“
„Eingebildet sind Sie wohl gar nicht.“ Sie lachte ihn an. „Sagen wir so: Der große Auftrag, den ich an diesem Tag für unser Haus hereingeholt hatte, war mindestens so aufregend wie der Zusammenstoß mit Ihnen.“
„Das ist jetzt nicht nett. Ich für meinen Teil hab Sie nicht vergessen. Diese Begegnung …“ Er brach ab, doch sein Blick sagte genau, was er meinte.
Ein wenig verlegen senkte Ellen den Kopf. Was sollte sie antworten? Dass sie Karsten Gerhard auch nicht hatte vergessen können? Dass er seit diesem Tag durch ihre Träume geisterte?
Das Schiff legte an, Passagiere verließen den Dampfer, neue stiegen hinzu. Von der Fraueninsel, die ganz von dem bekannten Benediktinerkloster und der Kirche beherrscht wurde, ging es nun endgültig hinüber nach Herrenchiemsee.
„Erzählen Sie mir was über das Schloss!“ Endlich eine Ablenkung! Das Thema Kultur war ja nun wirklich höchst unverfänglich.
„Ja, ja, unser König Ludwig … er wird nicht umsonst „Märchenkönig“ genannt. Immerzu hat er danach gestrebt, es Ludwig IV., dem Sonnenkönig, gleich zu tun. Er glaubte an den Absolutismus, und in einem zweiten Versailles wollte er diese Vorstellung versinnbildlichen.“
„Das Gebäude muss riesig sein“, murmelte Ellen.
„Ist es. Und leider ist es Ludwig auch nicht vergönnt gewesen, diesen seinen Traum ganz zu vollenden. Er wollte das Schloss ja auch gar nicht bewohnen, sondern ein Zeichen der Königsmacht setzen. Zwanzig der Prunkräume können wir besichtigen. Und den Park genießen.“ Er griff nach ihrer Hand. „Ellen … es ist einfach herrlich, dass wir uns wiedergefunden haben.“
Sie sah in seine Augen, las die Wärme darin, eine Zärtlichkeit, die sie erschauern ließ.
Und dann war sein Gesicht auf einmal ganz nah. Sein Mund kam näher … und endlich, endlich küsste er sie!
Nein, es waren keine Himmelsklänge, die sie hörte – die Schiffssirene gab
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