Wo ich zu Hause bin
Lust, »hörig« zu werden. Dort, wo junge Menschen in einer Gruppe aufeinander hören, entsteht nicht nur ein Gefühl von Zugehörigkeit, sondern auch von Zusammengehörigkeit. Man hört zusammen und gehört zusammen. Wem ich zuhöre, dem gehöre ich in diesem Augenblick, ohne ihm hörig zu werden.
Das drückt die deutsche Sprache mit dem Wort »Gehorsam« aus. Im Dritten Reich ist dieser Begriff so missbraucht worden, dass wir uns heute schwer mit ihm tun. Ge-hor-sam hat drei Bestandteile: Das mittlere Wort horchen ist eine Verstärkung des Wortes hören. Ich horche genau hin. Es ist ein intensives Hören. Das Präfix »ge« drückt immer Gemeinschaft aus, Vereinigung, Zusammensein. Wenn ich gehorche, dann entsteht im Horchen eine Gemeinschaft mit dem, dem ich zuhöre. Das Präfix »ge« drückt dann das Ergebnis aus, wie etwa im Wort »Geschenk«. Im Gehorsam entsteht etwas Neues durch das Hören. Da kommt etwas in meinem Herzen an, was mein Herz verwandelt. Das Suffix »sam« bedeutet: mit etwas übereinstimmend, in eins zusammen sein. Wer gehorsam ist, der hört dem andern so zu, dass er mit ihm übereinstimmt und mit ihm eins wird. Im wirklichen Hören werde ich eins mit dem Gehörten und mit dem, der zu mir spricht. Und ich werde eins mit mir selbst. Denn Gehorsam heißt immer auch: mir selbst zuhören, auf das hören, was mir meine Seele sagt. Wer sich selbst gehorsam ist, der ist eins mit seinem wahren Wesen, der gehört sich selbst und keinem andern Menschen. Der Gehorsam andern Menschengegenüber ist keine Entfremdung von mir selbst, sondern der Weg, durch das Hören auf andere die eigentlichen Stimmen in meinem Innern zu vernehmen und so eins zu werden mit meinem wahren Wesen. Denn die Worte des andern bringen mich in Berührung mit dem Urwort, das Gott bei meiner Geburt zu mir gesprochen hat.
Das englische Wort belonging , das wir heute oft für »Zugehörigkeit« benutzen, heißt »gehören, am richtigen Platz sein«. Es kommt vom Wort » long = lang«. Long kann aber auch »sich sehnen« bedeuten. Vielleicht kommt diese Bedeutung von »langen Lauten«, die ja immer auch sehnsuchtsvolle Laute sind, oder aber von der Länge der Sehnsucht. Die Sehnsucht streckt sich aus nach dem, was weit weg liegt. Vielleicht meint dieses belonging auch, dass man sich zu einer großen Gruppe zugehörig fühlt. Man ist bei der Gruppe, die nicht nur groß ist, sondern eine große Bedeutung hat. Indem ich dieser Gruppe zuhöre, gewinne ich an Bedeutung und Größe. Aber belonging meint noch etwas anderes: Ich fühle mich einer Gruppe zugehörig, die von der Sehnsucht nach Größerem geprägt ist, entweder von der Sehnsucht nach Gemeinschaft und Verstehen und Verstandenwerden oder aber auch von der Sehnsucht nach etwas, das diese Welt übersteigt, von der Sehnsucht nach Transzendenz, nach Gott. Selbst in einem Fanclub eines Fußballvereins steckt eine solche Sehnsucht. Es ist die Sehnsucht, zu gewinnen und nicht immer auf der Seite der Verlierer zu sein. Es ist die Sehnsucht nach Gelingen des Lebens, nach Glück. Jede Gruppe, der mansich zugehörig fühlt, ist immer auch eine Verheißung von mehr, eine Verheißung von Getragensein, Angenommensein und Sinnhaftigkeit des Lebens.
Der irische Schriftsteller und Theologe John O’Donohue hat bedenkenswerte Aussagen zum Thema Zugehörigkeit gemacht: »Unser Hunger nach Zugehörigkeit ist die Sehnsucht, die Distanz zwischen Isolation und Intimität zu überbrücken. Jeder sehnt sich nach Intimität und träumt von einem Nest der Zugehörigkeit, in dem er geborgen ist, in dem er erkannt und geliebt wird. In jedem von uns schreit etwas nach Zugehörigkeit. Wir können alles haben, was die Welt an Ansehen, Erfolg und Besitz zu bieten hat; doch ohne ein Gefühl der Zugehörigkeit erscheint alles leer und sinnlos. Wie der Baum, der tief in die Erde Wurzeln treibt, braucht jeder von uns den Anker der Zugehörigkeit, um den Sturmwinden nachgebend standhalten und zum Licht wachsen zu können. So wie der Ozean immer wieder zum selben Ufer zurückkehrt, schenkt uns ein Gefühl der Zugehörigkeit die innere Freiheit, dem Rhythmus von Verlust und Sehnsucht rückhaltlos zu vertrauen; es behütet uns außerdem vor der Einsamkeit des Lebens.« 38 O’Donohue sieht also in der Sehnsucht nach Zugehörigkeit ein uraltes Bedürfnis des Menschen, das seiner Natur entspricht. Denn von seinem Wesen gehört er zur Natur. Und nur wenn er sich eins fühlt mit der Natur, kommt er an seine Kraft. Und von
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