Wo ich zu Hause bin
die, deren Ehe zerbrochen ist, die alleinerziehenden Mütter, die Menschen, die heute am Rande der Armut leben, die sich in der Öffentlichkeit nicht zeigen möchten. Und die Kirche hat die Aufgabe, all denen Heimat zu vermitteln, die in sich ihre Heimat verloren haben, die sich selbst verloren haben. Statt nur zu jammern, dass die Pfarrer immer hektischer werden und die Gemeinden immer enger, sollte sich jede Pfarrgemeinde fragen, was sie dazu beiträgt, dass sich Menschen in ihr zu Hause fühlen. Dabei muss sie sich allerdings hüten, die Heimat allzu eng zu fassen. Es gibt Gemeinden, die in sich so geschlossen sind, dass Zugezogene keine Chance haben, dort Fuß zu fassen und sich darin zu beheimaten. Heimat ist nicht Ausdruck von Enge, sondern von Weite, von Offenheit für all die Menschen, die nach einer Heimat suchen.
IMPULS
Setze dich einmal allein in eine vertraute Kirche und überlege, ob du dich dort daheim fühlst. Wenn du dich nicht zu Hause fühlst, was sind die Gründe? Was stört dich an der Kirche, an den Priestern und Bischöfen, an den Seelsorgern und Seelsorgerinnen? Lass ruhig alle negativen Gedanken in dir hochsteigen. Aber dann frage dich auch, welches Bedürfnis hinter all den Erwartungen an die Kirche steckt: Habe ich nicht doch das Bedürfnis nach einer heiligen und vollkommenen Kirche, nach fehlerlosen Priestern, Pastoren, Pastorinnen und Bischöfen? Wenn ich all diese negativen Gedanken zulasse und sie zugleich auf ihre tiefere Sehnsucht hin befrage, kann ich mir auch vorstellen: Ich bin in dieser Kirche. Ich fühle mich hier getragen von den Menschen, die hier seit meiner Kindheit, ja schon lange vor meiner Kindheit gebetet und das Gemeindeleben durchgetragen haben, von denen ich jetzt glaube, dass sie im Himmel sind. Was verdanke ich all diesen Menschen? Welche positiven Kindheitserlebnisse verbinde ich mit der Kirche und ihrer Gemeinde? Und was könnte sie mir heute schenken, wenn ich mich verabschiede von meinen Perfektionsansprüchen? Wenn mir der Pfarrer oder die Pfarrerin momentan keine Heimat vermittelt, gibt es nicht andere Menschen in dieser Kirchengemeinde, die mir am Herzen liegen und die mich stützen und stärken? Oder gibt es Heilige in dieserKirche, die mich faszinieren und für mich Vorbild sein könnten, weil sie es zu ihrer Zeit in der Kirche ausgehalten haben, obwohl sie nicht verstanden wurden, und gerade darum dieser Kirche ein menschliches Antlitz verliehen haben? Kann mir dieser Kirchenraum mit seiner langen Geschichte etwas von Heimat vermitteln, von einer Heimat, die unabhängig ist von den Menschen, die hier gepredigt und die Gemeinde geprägt haben? Wovon würde ich mich abschneiden, wenn ich diese Kirche verlassen würde?
Und dann stelle dir nochmals vor, wie du als Kind die Kirche, ihre Gottesdienste und Feste erlebt hast. Wenn du als Kind mit deinen Eltern oder Großeltern in die leere Kirche gegangen bist, was hat dich da berührt? War es der Raum, die Heiligenbilder, die Atmosphäre? Welche Gefühle haben die ersten Gottesdienste in dir wachgerufen? Kannst du dich an den Weihnachtsgottesdienst, die Karwoche, die Osternacht, Maiandachten, Fronleichnamsprozessionen erinnern? Was haben sie in deiner Seele angesprochen? Stelle dir dann vor, dass all das, was dich damals berührt hat, dich mit deinem wahren Wesen und mit deiner tiefsten Sehnsucht in Berührung gebracht hat. Und dann frage dich, ob du jetzt, in diesem Augenblick, mit dir in Berührung bist, mit deiner spirituellen Sehnsucht.
Heimat in Gott
A ls Christen bekennen wir, dass unsere wahre Heimat bei Gott ist. Wir singen in einem Kirchenlied: »Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.« Die Heimat, die wir hier erleben, ist immer nur zeitlich begrenzt. Wir können aus der Heimat vertrieben werden. Die Heimat wird sich ändern. Und auf einmal fühlen wir uns nicht mehr daheim. Das, was uns Heimat verheißt, wird letztlich erst von Gott ganz eingelöst. In Gott erwarten wir, dass wir für immer daheim sind. Spätestens im Tod müssen wir diese Welt verlassen. So heißt es in einem alten Kirchenlied: »O Welt, ich muss dich lassen, ich fahr dahin mein Straßen ins ewig Vaterland.« Nicht nur die Kirchenlieder, sondern auch viele Dichter wissen darum, dass unsere letzte Heimat in Gott sein wird. So dichtet der romantische Dichter Ernst Moritz Arndt: »Fremdling bin ich nur im Staube, meine Heimat such ich wieder, meine grüne Himmelslaube.«
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