Wo ich zu Hause bin
was im Gottesdienst gefeiert wird, an ihnen vorbeigeht. Sie fühlen sich nicht angesprochen. Die Probleme, die in den Sitzungen der Kirchengemeinde besprochen werden, kommen ihnen kleinkariert vor. So findet man keine Heimat in der Kirche, weil diese nicht auf der Höhe der Zeit ist. Gerade in unserer Zeit, da die Kirche wegen der Missbrauchsfälle, die ihren moralischen Anspruch infrage stellen, in die Schlagzeilen geraten ist, wenden ihrviele Menschen den Rücken zu. Sie sind verunsichert. Sie reiben sich an der Menschlichkeit der Priester und Bischöfe. Sie reiben sich daran, dass sie selber die Kirche nicht mitgestalten können. Sie haben die Beziehung zu ihr verloren. In der evangelischen Kirche erlebe ich oft die Diskrepanz der Gottesdienstbesucher und der Theologie des Pastors. Die Gottesdienstbesucher möchten gerne Erbauung, eine Predigt, die zu Herzen geht. Der Pastor betont die soziale Verantwortung der Christen. Das widerspricht oft der Sehnsucht der Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie fühlen sich nicht mehr daheim in ihrer Kirche. Es ist ihnen zu viel Beunruhigung. Sie möchten Bestätigung und nicht Verunsicherung. Es ist nicht einfach, die Sehnsucht der Menschen ernst zu nehmen und zugleich sich dem Wort Jesu verpflichtet zu fühlen, der ja die Menschen nicht einfach nur bestätigt, sondern auch herausgefordert hat.
Bei denen, die in der Kirche bleiben, steigt die Sehnsucht nach Beheimatung in ihr. Es ist wichtig, diese Sehnsucht ernst zu nehmen und diejenigen, die diese Sehnsucht spüren, nicht gleich in die konservative Ecke zu stellen. Es ist nicht nur die Sehnsucht, in einer weltoffenen Gemeinschaft ein Zuhause zu finden, sondern in der Kirche, ihren Gottesdiensten und Festen hineingenommen zu sein in das Schicksal Jesu Christi, in allen Lebenssituationen angesprochen zu werden von Worten Jesu, vom Geheimnis seines Lebens, Sterbens und Auferstehens. Es ist die Sehnsucht, mitten in einer Welt, in der sich alles täglich verändert, Anteil zu haben an etwas, das Bestand hat, das trägt; hineingenommen zuwerden in den Rhythmus des Kirchenjahres. Allein jedes Jahr im gleichen Rhythmus der Feste und Festzeiten zu feiern, gibt vielen Menschen das Gefühl von Heimat. Mitten in den Änderungen gibt es etwas, das bleibt, etwas, was jährlich wiederholt wird. So fühlen sich die Menschen eingebettet in den Rhythmus der Natur und in den inneren Rhythmus der Seele, der in den Festen des Kirchenjahres zum Ausdruck kommt.
Die einen fühlen sich in der Kirche als solcher beheimatet, in der katholischen Kirche, in der evangelischen Landeskirche, in der Freikirche. Andere suchen sich innerhalb der Kirche einen Ort, an dem sie sich daheim fühlen. Viele Gäste, die regelmäßig zu uns in die Abtei kommen, sagen, diese sei für sie spirituelle Heimat. In der evangelischen Kirche sind oft Bildungshäuser oder Häuser der Stille für viele zu einem Ort geistlicher Beheimatung geworden. Offensichtlich braucht es innerhalb der Volkskirchen konkrete Orte und Gemeinschaften, in die man eintauchen möchte und in denen man sich geistlich verstanden fühlt und sich gerne deren Spiritualität anschließt.
Die Pfarrer und Seelsorgerinnen, die Männer und Frauen, die sich in der Kirchengemeinde engagieren, haben den Auftrag, auf die Sehnsucht der Menschen nach Beheimatung zu antworten. Aber sie wissen oft nicht, wie sie den Spagat hinbekommen sollen, die verschiedenen Wünsche der Menschen zu befriedigen. Die einen wollen die Kirche, wie sie früher war, die andern wollen eine weltoffene Kirche. Die einen wollen die Kirche als Kuschelecke, die andern betonen ihre prophetischeund gesellschaftskritische Funktion. Die Seelsorger müssen auf die Sehnsüchte aller Menschen in ihrer Gemeinde hören, ohne sie zu bewerten. Indem ich auf die Sehnsucht der Menschen höre, komme ich mit meiner eigenen Sehnsucht in Berührung. Dann kann ich mich fragen: Was ist für mich eine Antwort, die mich trägt? Wie kann ich die Worte der Bibel so verkünden, dass sie auf meine Sehnsucht antworten? Und wie kann ich heute die alten Rituale so feiern, dass meine tiefste Sehnsucht nach Heimat angesprochen wird?
Die Kirchen haben heute in einer Welt zunehmender Mobilität und Migration, zunehmender Anonymität und Vereinzelung, die Aufgabe, den Menschen einen Ort anzubieten, an dem sie miteinander Gemeinschaft und Heimat erfahren dürfen. Das war ja auch die tiefe spirituelle Erfahrung, die die frühe Kirche gemacht hat. Für Lukas ist das Zeichen, dass
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