Wo ist Thursday Next?
er. »Sie haben gute Chancen für ein Comeback. Wissen Sie überhaupt, wie viele Figuren ihren Weg mit den größten Hoffnungen beginnen, einen dauerhaften Platz im Herzen der Leser erobern zu können, und dann erleben müssen, dass man sie brutal in die ewige Ungelesenheit im hintersten Winkel der Menschlichen Tragödie zurückstößt?«
Damit hatte er recht. Das Leben eines Buches kann äußerst lang sein, und obwohl die Freizeit, die man in einem ungelesenen Buch hat, nicht zu verachten ist, kann einen der ständige Bereitschaftsdienst ziemlich zermürben. Man weiß ja nie, ob nicht plötzlich doch jemand kommt, der lesen will, was man so treibt. Für mich gab es zum Glück fast immer eine Zweitbesetzung, die einspringen konnte. Das erlaubte mir, gelegentlich eine Auszeit zu nehmen, aber dieses Privileg haben nur wenige.
»Und?«, fragte Whitby. »Hätten Sie vielleicht Lust, heuteAbend mit mir ins Duftkino zu gehen? Ich habe gehört, im Rex läuft
Gartenerbsen mit Minze
.«
Gerüche waren ziemlich knapp in der BuchWelt.
Gartenerbsen mit Minze
war dieses Jahr die beste Premiere. Beim Wettbewerb um den literarisch wertvollsten Duft hatte sie
Vanilla Coffee
und
Räucherschinken vom Grill
zwar nur um eine Nasenlänge geschlagen, aber es hieß, der Noscar™ in der Kategorie »Bester adaptierter Geruch« sei künstlerisch hoch verdient.
»Ich hab gehört,
Minze
wird stark überschätzt«, behauptete ich, obwohl ich nichts dergleichen gehört hatte. Whitby hatte mich schon fast so oft zu einem Rendezvous eingeladen, wie ich abgelehnt hatte. Ich hatte ihm den Grund nie genannt, deshalb glaubte er, dass es jemand anderen gebe. Nun, das stimmte und stimmte auch wieder nicht. Es war ziemlich kompliziert, sogar nach den Maßstäben der BuchWelt. Trotzdem wollte er weiterhin mit mir ausgehen, und ich konnte immer aufs Neue ablehnen. Es war so eine Art Spiel.
»Wie wäre es nächste Woche mit dem Bumbles-Rennen? Gefährlich, aber sehr aufregend.«
Das Bumbles-Rennen war ein Höhepunkt im Kalender der BuchWelt: Ein Dutzend empörte und haferschleimsüchtige Mr Bumbles, die ständig »Mehr? MEHR?!?« schrien, wurden auf ein unbenutztes Kapitel von
Oliver Twist
losgelassen, und besonders sportliche oder wagemutige Besucher der Veranstaltung durften vor ihnen herlaufen. Jedes Jahr wurde mindestens ein glückloser junger Besucher von den Rasenden zu Tode getrampelt.
»Mich auf diese Art zu beweisen hab ich nicht nötig«, erwiderte ich. »Und Sie, glaube ich, auch nicht.«
»Und wie wäre es mit einem gemeinsamen Abendessen?«, fragte er dreist. »Ich könnte einen Tisch im
Inn Uendo
kriegen. Der Besizerin fehlt ein ›t‹ und ich hab ihr eins versprochen.«
»Das passt nicht zu mir.«
»Wie wäre es dann mit der Bar
Humbug
? Die Atmosphäre ist fabelhaft öde.« Das war drüben bei den Klassikern, und man hätte mit dem Taxi fahren müssen.
»Da würde ich eine Stellvertreterin brauchen, die sich um mein Buch kümmert.«
»Was ist denn mit Stacey?«
»Dasselbe wie mit Doris und Enid.«
»Ärger mit Pickwick?«
»Ja, wenn Sie’s unbedingt wissen wollen.«
In diesem Augenblick klingelte es an der Tür. Das war ungewöhnlich, denn zufällige Ereignisse waren in der weitestgehend vorherbestimmten BuchWelt nicht vorgesehen. Ich machte die Tür auf und stand drei Dostojewskiten gegenüber, die mich aus einer dicken Wolke von moralischem Relativismus misstrauisch anstarrten.
»Dürfen wir reinkommen?«, fragte der erste, der aussah wie einer, den ein schlechtes Gewissen der Schwergewichtsklasse zu Boden gestreckt hat. »Wir waren gerade auf dem Heimweg von einem Erlösung-durch-Leiden-Training, als plötzlich diese Ausgangssperre verhängt worden ist. In der TextZentrale ist irgendwas los, und bis auf weiteres darf niemand mehr unterwegs sein.«
Eine Ausgangssperre war selten, kam aber gelegentlich vor. In solchen Notfällen waren alle Bewohner der BuchWelt gehalten, denen, die vor ihren Büchern gestrandet waren, Gastfreundschaft zu gewähren. Normalerweise fand ich so etwas lästig, aber diese Typen waren aus
Schuld und Sühne
und richtige Prominente. An diesem Ende vom Fantasy Boulevard hatten wir keine Prominenten dieses Kalibers mehr gesehen, seit
Pamela
, die belohnte Tugend, einen Platten bei mir vor der Tür hatte. Das hätte sich natürlich innerhalb einer Stunde erledigen lassen, aber sie bestand darauf, den epistolären Abschleppdienst rufen zu lassen, und das bedeutete, dass wir sie tagelang im
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