Wo mein Herz wohnt: Mittsommergeheimnis (German Edition)
Schuld daran, dass meine Eltern so wenig Zeit für meine Schwester und mich hatten. Außerdem fühlte ich mich von ihr eingeengt und kontrolliert. Und an diesem Morgen ertappte ich Audrey dabei, wie sie in meiner Schreibtischschublade herumschnüffelte. Ich …” Finja spürte, wie die Tränen sich hinter ihren geschlossenen Augenlidern sammelten, und sie schluckte. “Ich war …”
“Sie waren wütend”, half Paul Bjorkman ihr auf die Sprünge.
“Ja, ich war sogar schrecklich wütend. So sehr, dass ich etwas Unverzeihliches zu Audrey sagte. Ich …” Sie schüttelte den Kopf. “Es tut mir leid, aber ich kann das nicht!”
“Was haben Sie zu ihr gesagt?”, drängte Bjorkman sanft. “Sie werden sehen, dass Sie sich besser fühlen, wenn Sie mit jemandem darüber gesprochen haben.”
Zitternd rang Finja nach Luft. “Ich sagte …”
“Du sagtest: Verschwinde! Geh zum Teufel und komm nie mehr zurück!”, erklang da plötzlich eine Mädchenstimme direkt an ihrem Ohr. “Und dein Wunsch ist in Erfüllung gegangen.”
Finja riss die Augen auf und …
… erwachte mit einem erstickten Keuchen. Vor Erleichterung darüber, dass es nur ein böser Traum gewesen war, kamen ihr fast die Tränen. Langsam wich das Gefühl, innerlich zu Eis erstarrt zu sein, und auch ihr Puls beruhigte sich wieder. Sander merkte nicht einmal, wie aufgewühlt sie war. Er saß hinter dem Steuer des Mietwagens, den sie nach ihrer Landung in Stockholm vor knapp vier Stunden abgeholt hatten, und telefonierte über die Freisprecheinrichtung.
Windböen trieben Nebelschleier vor die Windschutzscheibe, doch Sander sah nicht so aus, als hätte er irgendwelche Probleme mit der Sicht. Er war ein geübter Fahrer. Eines der wenigen Dinge, die Finja über ihren Mann wusste. Seltsam eigentlich, wo sie ihn doch einmal von ganzem Herzen geliebt hatte.
Aber irgendwo zwischen Schweden und Amerika hatte sich vor fünf Jahren die Liebe aus ihrer Ehe geschlichen.
Finja wusste nicht einmal, warum es so gekommen war – fest stand nur, dass sie und Sander in Schweden glücklich gewesen waren. Und dass sich in New York alles geändert hatte. Dabei hatte sie doch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten endlich die Schatten ihrer Vergangenheit hinter sich lassen wollen.
Und jetzt kehrten sie gemeinsam dorthin zurück, wo alles begonnen hatte. Nach Dvägersdal – Finjas Geburtsort. Jedoch war der Anlass alles andere als erfreulich.
Schmerzerfüllt schloss sie die Augen, als sie an die Katastrophe dachte, die vor wenigen Wochen ihre komplette Familie mit einem Schlag ausgelöscht hatte. Jetzt würde Finja nie mehr die Chance haben, sich mit ihren Eltern und ihrer Schwester auszusprechen. Und mit Paul Bjorkman – dem Mann, dem sie einmal ihre Seele anvertraut hatte. Ihrem Schwager …
Ein, zwei Mal atmete Finja tief durch, dann öffnete sie die Augen wieder und blickte nachdenklich durchs Beifahrerfenster. Der Regen wurde stärker und ließ nicht einmal erahnen, dass es inzwischen Frühling war in Schweden.
Nun, zumindest passt das Wetter zu meiner momentanen Gemütslage, dachte Finja bitter, als ihr auffiel, dass ihr Mann und sie während der gesamten Fahrt kein einziges Wort miteinander gewechselt hatten. Kurz drehte sie den Kopf ein Stück nach links und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Sander telefonierte gerade mit einem wichtigen Kunden von
SanderSom Sports
, seiner Firma für Sportartikel, die er sich in den USA aufgebaut hatte. Wieder einmal. Eigentlich ging das schon die ganze Fahrt so. Anfangs hatte Finja aus Zeitvertreib noch zugehört, was gesprochen wurde. Doch inzwischen drangen nur noch Wortfetzen wie
contracts
,
meetings
und
conditions
an ihr Ohr.
“Woran denkst du?”, hörte sie Sander nach einer Weile fragen.
Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass er sein Telefonat beendet hatte. Jetzt dauerte es einen Moment, ehe sie registrierte, dass er tatsächlich mit ihr sprach.
Finja zuckte mit den Achseln. “Seit wann interessiert dich, woran ich denke?”, erwiderte sie, bereute ihre schroffen Worte aber sofort wieder. Sie sollte dankbar sein, dass er sich überhaupt mal bemühte, ein Gespräch in Gang zu bringen. Gleichzeitig wusste sie, dass kein Gespräch der Welt mehr ihre Beziehung retten konnte.
“Hör mal, das waren gerade wirklich wichtige Anrufe, und …”
Sie winkte ab. “Schon gut. Ich bin ja froh, dass du überhaupt die Zeit gefunden hast, mitzukommen.”
“Es ging ja nicht anders”, entgegnete er kühl. “Der
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