Wo niemand dich findet
»Wenn du ihr noch einmal zu nahe kommst, bist du dran.«
»Du kannst mich mal, Devereaux.«
Nathan stieß Coghan mit beiden Händen vor die Brust und schubste ihn weg. Coghan stolperte etwas nach hinten, stürzte sich dann aber auf Nathan und versetzte ihm einen Fausthieb gegen das Kinn. Aus der Gruppe der Raucher kam erstauntes Rufen.
Vom Schmerz betäubt taumelte Nathan kurz zurück. Doch gleich darauf packte er Coghan am Hals, und beide stürzten zu Boden. Nathan schlug ihm ein, zwei, drei Mal auf die Nase. Als beim dritten Schlag ein knirschendes Geräusch zu hören war, ließ Nathan befriedigt von ihm ab und sprang auf. Coghan schnellte empor und wollte ihn mit beiden Armen umklammern, doch Nathan konnte ausweichen.
Während Coghan sich aufrappelte, kamen ein paar Männer aus der Gruppe näher. Den Presseausweisen um ihren Hals nach waren es Reporter. Einer legte sich eine Kamera auf die Schulter.
Coghan tat einen Schritt auf Nathan zu, ehe er das Publikum bemerkte. Hasserfüllt starrte er ihn an. »Das wird dir noch leidtun, Devereaux.«
»Pass lieber selbst auf, Coghan.« Nathan zog das Blut in seinem Mund zusammen und spuckte aus. »Es sei denn, du willst unbedingt in die Nachrichten kommen.«
Damit drehte er sich um und ging.
»Was soll das heißen, sie ist nicht da?«, schimpfte Alex. »Ich hab doch erst vor einer Stunde mit ihr gesprochen!«
Sophie warf einen Blick auf die Telefonnummer, die sie notiert hatte. Verwählt hatte sie sich nicht.
»Vielleicht ist sie ja da«, beschied sie Alex. »Sie geht bloß nicht ans Telefon.«
Hektisch zog Alex ihr Handy heraus und tippte die Nummer auf Sophies Notizblock ab. Sie wartete. Und wartete. Doch auch bei Alex nahm Melanie nicht ab.
»Verdammte Scheiße!«, fluchte Alex und brach den Anruf ab. »Ich werd diese …«
»Glaubst du, dass sie abgehauen ist?« Für diese Frage erntete Sophie einen finsteren Blick.
Alex drückte auf Wahlwiederholung. Sophie verzichtete auf die Bemerkung, dass es wohl keine so gute Idee gewesen war, Melanie ihren Saturn zu leihen.
Alex musste das selbst geahnt haben, sonst hätte sie ihr auch den Mietwagen geben können, der vor Lovell Solutions parkte.
»Sie wird doch nicht wieder abgehauen sein«, murmelte Alex mehr zu sich selbst als zu Sophie. »Das kann sie gar nicht.«
»Warum kann sie’s nicht?«
Alex glotzte Sophie an. Sie schien erst jetzt zu begreifen, was sie soeben gesagt hatte.
Sophie machte ein erwartungsvolles Gesicht. Sie hatte rasch begriffen, dass sie Fragen stellen musste, wenn sie dieses Geschäft begreifen wollte. Manchmal wiegelte Alex ab. Aber hin und wieder erklärte sie ihr auch etwas, wie sie es in Bezug auf Melanie getan hatte.
Allerdings hatte sie offenbar auch ein paar Kleinigkeiten ausgelassen.
»Warum konnte sie nicht abhauen?« Sophie blieb hartnäckig. »Ich meine, sie hat es ja schon mal getan. Und du hast ihr gezeigt, wie’s geht.«
»Diesmal ist es anders«, entgegnete Alex. »Ich hab ein paar Sachen, die sie braucht. Sie sollte sie von mir in La Grange bekommen, ehe sie irgendwohin verschwindet.«
Was La Grange bedeutete, wusste Sophie. In der Stadt kannte Alex einen Motelbesitzer, der sich bereit erklärt hatte, Melanie unbürokratisch unterzubringen – und umsonst. Nach dem, was Sophie aufgeschnappt hatte, war der Motelbesitzer ein Geschäftsfreund von Alex. Nicht mitbekommen hatte sie jedoch, was die »paar Sachen« waren, die Melanie von Alex bekommen sollte. Außer dem Bargeld natürlich.
Doch allmählich ahnte Sophie etwas.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast aber doch gesagt, dass falsche Identitäten nicht klappen.«
Alex sah von ihrem Handy auf. Sie hatte ihre E-Mails gecheckt, weil sie auf eine Nachricht von Melanie gehofft hatte.
»Stimmt auch«, erwiderte sie. »Meistens jedenfalls.«
Sophie runzelte die Stirn. Alex hatte ihr erzählt, dass sie für Mandanten, die untertauchen wollten, keine gefälschten Identitäten besorgte. Das hatte sie damit begründet, dass sie nie das hielten, was sie versprachen. So konnte man die Identität von jemandem bekommen, der massive Schulden und Kreditkartenprobleme oder ein Strafregister hatte. Oder schlimmer noch, auf den ein Haftbefehl ausgestellt war. Wenn man von der Bildfläche verschwinden wollte, war es am besten, alle Spuren zu verwischen – vor allem digital. Als Nächstes musste man, ebenfalls per Computer, falsche Spuren legen. Und schließlich musste man sich ein neues Leben
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