Wo niemand dich findet

sein müssen, das sich ihr im Arbeitszimmer bot. Aber sie war es nicht. Sophie hatte recht. Courtney war fantastisch.
    »Wahnsinn!«, stieß Alex hervor. Auf dem großen Leder-Drehstuhl hinter ihrem Schreibtisch saß eine ganz andere Melanie.
    Courtney warf Alex einen Blick zu. »Ganz schön spät, oder?«
    »Ich war noch bei Starbucks.« Sie stellte das Tablett mit den Getränken auf dem Tisch ab.
    »Alles verziehen!«
    Was letztlich nicht so überraschend war. Außer dass sie miteinander befreundet waren, war die schlanke Stylistin mit dem kastanienfarbenen Haar eine ehemalige Mandantin von Alex. Sie gehörte zu Nathans »hoffnungslosen Fällen«, obwohl diese Bezeichnung auch dank Alex nicht mehr zutraf. Courtney hatte ihr Leben in den Griff bekommen und arbeitete seit Kurzem sogar in einem der angesagtesten Salons von Austin.
    Alex betrachtete Courtneys jüngstes Meisterwerk. »Wie hast du das bloß gemacht?«
    Melanie blickte unsicher zu Alex. »Gefällt’s dir?«
    »O ja.« Sie ging um den Schreibtisch herum. Die schlaffe Haut und die Augenringe waren verschwunden. Dank Courtney hatte sie auch nicht mehr diesen tranigen Gesichtsausdruck, der Alex so verhasst war. Weg war
außerdem diese schwarze Igelfrisur. Stattdessen hatte Courtney ihr einen Pixie-Cut verpasst und das Haar hellbraun gefärbt, was ganz frisch und natürlich wirkte. Das war das Wichtigste, denn Melanie durfte nicht auffallen. Als Letztes würde sie – und das wussten weder Courtney und Sophie noch Melanie selbst – heute Vormittag ein neues Passbild von ihr machen lassen.
    »Wir haben dein Bad in einem ziemlichen Chaos hinterlassen«, sagte Courtney, während sie Melanie mit einem korallenroten Lipliner den letzten Schliff gab. »Aber Meister Proper kriegt das wieder hin.«
    »Das übernehme ich«, bot Sophie an.
    »Was hast du mit ihren Augen gemacht?« Alex beugte sich vor, um besser zu sehen.
    »Ich habe weißen Eyeliner um die Augen aufgetragen«, erklärte Courtney, »und die Wimpern mit einer Wimpernzange aufgebogen. Das lässt sie wacher wirken. Und jünger aussehen. Viele meiner älteren Kundinnen schwören darauf.«
    Alex beschloss, sich diesen Tipp zu merken. Zwar trug sie kaum Make-up. Aber ihre Mutter hatte gesagt, dass sich das ändern würde, wenn sie die Dreißig überschritten hätte.
    »Ist dir was an den Augenbrauen aufgefallen?« Sophie setzte sich mit einer Pobacke auf den Schreibtisch und schlürfte von ihrem Kaffee.
    »Ja, irgendwas ist anders.«
    »Ich habe den Schwung verändert«, erläuterte Courtney. »Das verleiht ihrem Gesicht ein anderes Aussehen. Kleine Ursache, große Wirkung.«
    Alex nickte zustimmend.

    Zu guter Letzt trug Courtney ein wenig hellbraunen Blush auf die Wangenpartie auf, um Melanies neuen Look noch besser zur Geltung zu bringen. Danach ließ sie das Blush-Schächtelchen zuschnappen und trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten. »Nicht schlecht.«
    »Funktioniert prima«, pflichtete Alex bei.
    Melanie lächelte Courtney verlegen zu, die in einem alufarbenen Beauty-Case herumkramte.
    »Beinah hätte ich was vergessen.« Courtney holte ein Döschen mit hautfarbenem Make-up hervor. »Hier, für deine Narben. Beug dich mal nach vorne.« Courtney trat hinter den Stuhl und tupfte Make-up auf die kreisrunden roten Brandmale in Melanies Nacken. Laut Melanie hatte Coghan sie ihr zugefügt. Ein sadistisches Spielchen, das ihn beim Sex anturnte.
    Als Courtney fertig war, steckte sie das Döschen zurück in einen Plastikbeutel voller Kosmetika.
    »Das ist für dich«, meinte sie und überreichte Melanie den Beutel. »Ich hoffe nur, du hast dir gemerkt, was ich dir gezeigt habe.«
    »Danke.« Unsicher beäugte Melanie die vielen Kosmetika in ihrer Hand. »Äh, und was schulde ich dir dafür?«
    »Geht aufs Haus.« Courtney schloss den Beauty-Case und sah auf die Uhr. »Ich muss los, Alex.«
    »Bist du sicher?« Melanie warf Alex einen zaghaften Blick zu. Der war klar, dass sie an ihre vielen offenen Rechnungen bei Lovell Solutions dachte.
    »Ist schon okay.« Courtney nahm ihren Koffer, Kaffee und Autoschlüssel. »Ich schulde Alex den einen oder anderen Gefallen.«

    »Wenn wir schon beim Thema sind.« Alex räusperte sich. »Es wäre sehr hilfreich, wenn du Will gegenüber nichts erwähnen würdest …«
    »Was denn überhaupt?«, meinte Courtney. Alex stieß einen Stoßseufzer der Erleichterung aus. Courtney war nicht nur eine ehemalige Mandantin, sondern auch mit Nathans Partner