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Wo niemand dich sieht

Titel: Wo niemand dich sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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gespürt, aber nicht so, als wäre ich wirklich ertrunken, lediglich den Schock des Eintauchens in eiskaltes Wasser. Ich hatte etwas davon geschluckt, aber nicht viel. Und dann war da nur noch dieses Nichts.
    Ich kratzte mir die Brust. Na, wenigstens mein Herz hatte sich wieder beruhigt. Erneut atmete ich ein paarmal tief durch. Nur die Ruhe, Junge. Hör auf mit dem Zirkus und denk nach. Kühl überlegen, das war uns auf der Akademie immer wieder eingetrichtert worden. Keine Panik. Ich musste kühl überlegen.
    Erst nachdem ein paar Minuten vergangen waren, begann ich mich zu fragen, ob das Ganze eventuell gar kein Traum gewesen war, sondern was ganz anderes. So deutlich, wie ich die Digitaluhr auf meinem Nachtkästchen leuchten sah, sah ich Jillys Gesicht vor mir. Ich hatte Jilly in meinem Traum oder was immer es auch gewesen war, gesehen.
    Das gefiel mir gar nicht. Es war hirnrissig, einfach hirnrissig. Ein komischer Traum, in dem ich ertrank und doch nicht ertrank, und aus irgendeinem Grund schoss mir der Gedanke an Jilly durch den Kopf. Ich hatte Jilly zuletzt bei Kevin zu Hause in Chevy Chase, Maryland gesehen. Das war Ende Februar gewesen. Zugegeben, sie war ein bisschen komisch gewesen, man konnte es nicht anders bezeichnen, aber ich hatte nicht allzu sehr darauf geachtet, hatte es eigentlich nur registriert und sofort wieder verdrängt. Zu viel war zu der Zeit in meinem Leben los gewesen, wie zum Beispiel der Einsatz in Tunesien.
    Ich konnte mich erinnern, mit Kevin über Jilly geredet zu haben, am Tag, nachdem sie aus Oregon hergeflogen war. Kevin, mein älterer Bruder, hatte aber nur den Kopf geschüttelt. Jetzt, da Jilly an der Westküste lebte, sei sie eben einfach ein bisschen exzentrisch geworden, hatte er gemeint, kein Grund zur Sorge. Das war alles. Kevin war Berufssoldat, hatte vier Jungs und nicht gerade viel Zeit, um über die Schrullen seiner drei Geschwister nachzudenken. Seit acht Jahren gab es nur noch uns vier, seit unsere Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Ein Betrunkener war in sie hineingerast.
    Ich erinnere mich, dass Jilly über alles Mögliche geredet hatte, fast ohne Punkt und Komma - über ihren neuen Porsche, das neue Kleid, das sie sich bei Langdon’s in Portland gekauft hatte, irgendein Mädchen namens Cal Tarcher, das sie offenbar nicht leiden konnte, und deren Bruder, Cotter, der, laut Jilly, ein übler Schläger und Choleriker war. Ja, sie hatte sogar erwähnt - mehrmals -, wie gut der Sex mit Paul wäre, ihrem Mann, mit dem sie seit acht Jahren verheiratet war. Damals hatte ich nicht viel daran finden können. Doch nun erschien mir das, was sie da von sich gegeben hatte, mehr als nur ein bisschen exzentrisch.
    War Jilly in meinem Traum ertrunken?
    Nein, daran wollte ich gar nicht denken, aber nun, da sich der tückische Gedanke in mein Hirn geschlichen hatte, ließ er sich nicht mehr so leicht abschütteln. Ich war hundemüde, aber lange nicht so müde wie gestern oder gar die Tage davor. Es ging aufwärts mit mir. Wenn das Ärztegeschwader auftauchte, nickten sie einander meist lächelnd zu, lächelten auch mich an und tätschelten mir die gesunde rechte Schulter. Sie hatten erwähnt, dass ich möglicherweise nächste Woche schon wieder heim könnte. Ich beschloss, meine Entlassung noch ein gutes Stück vorzuverlegen.
    Ich wusste genau, dass ich nicht wieder einschlafen wollte, nicht nachdem dieser Traum auf mich wartete. Ich wusste, dass er wartete, war mir dessen todsicher. Ich wusste, dass er wartete, weil er sich eigentlich nicht wie ein Traum angefühlt hatte, sondern nach etwas anderem. Ich musste damit fertig werden.
    Plötzlich wusste ich, was mir fehlte. Ein kühles Bier. Ein kühles Bierchen musste her und wenn ich meinen rechten Hoden dafür opfern müsste. Der Gedanke schoss mir ganz plötzlich durch den Kopf, und ich dachte nicht weiter darüber nach, drückte einfach auf die Klingel. Nach vier Minuten, laut meiner Digitaluhr mit der riesigen roten Leuchtanzeige, streckte Midge Hardaway, die Nachtschwester, den Kopf durch die Tür.
    »Mac? Was ist los? Es ist spät. Sie sollten längst schlafen. Was gibt’s?«
    Midge war etwa Mitte dreißig, groß, hatte kurzes, honigblondes Haar und ein spitzes Kinn. Sie war verlässlich und klug; auf sie konnte man in einer Notlage zählen. Am Anfang, als ich hier lag, war sie stets bei mir gewesen, wenn ich mal aus meinem halb bewusstlosen Zustand erwachte, hatte ruhig auf mich eingeredet und mir dabei den

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