Wo Tiger zu Hause sind
symmetrisches Muster von Zierschnüren: Er trug seine Schönheit und seine Rasse stolz zur Schau.
Roetgen drehte sich auf der Suche nach jemandem, mit dem er sein Erstaunen teilen konnte, zu Moéma um: Sie hatte die Augen auf den Neuankömmling geheftet und schien das Bild aufsaugen zu wollen. Der Indio fing diesen Blick auf, und wie von ihm angezogen, bahnte er sich einen Weg heran und stellte sich neben der jungen Frau an den Tresen. An der Schulter trug er einen blauen Tintenabdruck, mit der Dona Zefa all die markierte, die aus ihrem Tanzlokal hinausgingen. Wortlos trank er seine Cachaça. Dann setzte die Musik wieder ein …
»Alcéu Valença!«, rief Thaïs, plötzlich von den ersten Takten der Musik aufgestachelt, und fing an zu singen: »
Morena tropicana
…«
»Eu quero teu sabor«
, ergänzte der Indio und sah Moéma dabei unverwandt in die Augen.
Dann deutete er ein Lächeln an und verschwand aus der Bar.
»Merkwürdiger Typ, was?«, meinte Alcides, der die Szene aufmerksam verfolgt hatte.
»Er heißt Aynoré. Treibt sich seit zwei Wochen hier rum.« Und er spuckte verächtlich auf den Boden: »
Maconheiro
, soviel ich weiß.«
»Was ist, gehen wir tanzen?«, fragte Thaïs, die immer noch im Rhythmus des Liedes zappelte.
Draußen auf der Straße umrundeten sie die Bar nach links und gelangten so ins
Forró da Zefa
, eine Art aus Lehmziegeln gebautem Hangar, dessen Wellblechdach den relativen Wohlstand seiner Inhaberin verriet. Auf der ganzen Länge der Fassade waren Fenster – wie überall hier ohne Scheiben darin –, aus denen mehr Lärm als Licht nach draußen quoll. An der einzigen Tür dieses Gebäudes wartete Dona Zefa, eine alte, nach Alkohol und Tabak stinkende Mulattin, die sofort an Roetgen klebte und mit matter Stimme allerlei Anzüglichkeiten murmelte. Aber sie ließ von ihm ab, kaum dass er ein paar Cruzeiros aus der Tasche gezogen hatte, das Eintrittsgeld. Hinter ihr erstreckte sich der rund dreißig Meter lange Saal, den zwei von der Decke baumelnde Gaslampen kaum zu erhellen vermochten, und darunter wuselte eine bewegte Menge in allen Richtungen über den gestampften Boden. Im Rausch, im Summen wie von einem Schwarm, zuckten die Tänzer rhythmisch mit den Hüften, schnell, fest an die Partner geschmiedet und die Füße wie magnetisch am Boden gehalten. Der ernste Ausdruck der Gesichter und die perfekt mit der Musik abgestimmten, restlos uniformen Bewegungen erstaunten Roetgen mehr als alles andere, das er bisher gesehen hatte. Ein katakombenartiges Tanzvergnügen, ein letzter Engtanz vor der Sperrstunde, im scharfen Bewusstsein der Körper und des bevorstehenden Krieges. Unter der singenden Stimme und den Instrumenten war das typische Scharren der Sandalen auf dem Boden zu hören, ein unausgesetztes Pulsieren, bedrohlich wie eine urzeitliche Stille.
Plötzlich stand Marlene vor ihnen.
»Wie schön! Seid begrüßt in der Höhle der Nacht!«, rief er begeistert. »Geht ganz schön ab, was? Na, wen fordere ich auf?«
»Mich.« Thaïs warf Roetgen einen komplizenhaften Blick zu.
»So, jetzt wir«, sagte Moéma, sobald die Menge die beiden anderen verschluckt hatte. »Zwei Schritte nach rechts, zwei nach links, mach’s mir einfach nach …«
Sie drückte ihn an sich und schob ihn in Richtung Getümmel.
Roetgen stellte sich gar nicht so ungeschickt an, wenn er seiner Tanzpartnerin glauben sollte, jedenfalls bemühte er sich nach Kräften, sich nicht lächerlich zu machen. Nach und nach stellte er bei Blicken über die Menge fest: In der dunklen Masse aus Tänzern, die mit der Behändigkeit von Elementarteilchen jede Kollision vermieden, waren nur hagere, zahnlose Gesichter zu sehen, die er zumeist um einen guten Kopf überragte; und jedes Mal, wenn eine höher gewachsene Gestalt seine Aufmerksamkeit erregte, war es unweigerlich einer dieser jungen Städter, die nach Canoa gekommen waren, um »die Batterien aufzuladen«. Sie strotzten vor Gesundheit, lachten mit weißem Gebiss und amüsierten sich wie in einer Disco. Er gehörte weder zu den einen noch zu den anderen, wenn natürlich selbstverständlich zu den Privilegierten, und Roetgen kam sich ebenso komisch fehl am Platze vor wie ein Papagei mitten in einem Krähenschwarm.
»He, du hast es noch nicht ganz raus«, lachte Moéma, »du trittst mir auf die Füße! Du musst noch üben, wenn du in einem
Forró
flirten willst …«
»Ich hör auf, ich bin völlig erschossen.«
»Okay … lass uns was trinken.«
Sie
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