Wo Tiger zu Hause sind
bewegten sich in Richtung Ausgang, ihre gerade Bahn störte die Mechanik des Kreisens, da tauchte auf einmal der Indio wieder auf:
»Tanzt du?«, fragte er Moéma kalt und schien die Antwort schon zu kennen.
»Warum nicht?«, antwortete sie mit einem winzigen Anflug von Arroganz.
Und schraubte sich so schnell und geschmeidig in seine Arme, dass ihre Koketterie schnell durchschaut war.
Verwirrt, dass er so stehen gelassen wurde, beobachtete Roetgen, wie das Paar, bereit, sich mitreißen zu lassen, am Rand des Gewühles dahintrieb. Eine Sekunde, bevor sie verschwanden, sah er, wie Aynoré Moémas Hintern befingerte, mit einer harten, obszönen Bewegung, die ihr die Shorts an den Beinen hochzog, und ihre Fingernägel krallten sich in das Tattoo auf seinem Rücken.
Roetgen spürte das entsprechende Kratzen. Er hatte keinerlei Recht, eifersüchtig zu sein, aber er überließ sich einem Widerwillen, der sich auf alle Frauen dieser Welt erstreckte. Tausend und eine Kränkungen seiner Selbstachtung verdüsterten seinen Sinn; er verließ den Saal – ordentlich von Dona Zefa gestempelt – und ging wieder in die Bar von Don Alcides.
Jetzt übertrug er seinen Unwillen auch auf alle andern; die Trinker in der Bar erschienen ihm als der Gipfel der Degeneration. Ein Typ, der auf dem Billardtisch schlief, schrak alle drei Minuten auf und bot seine Zigaretten ins Leere an, ein anderer machte auf Kommando eine
pipoca
, das heißt, er blähte die Wangen maßlos auf, um das Geräusch von ploppendem Popcorn zu imitieren, beharrlich erniedrigte er sich selbst, als bezöge er seine Existenzberechtigung aus diesem kläglichen Geäffe. Seu Alcides seinerseits war zu fett, um ehrlich zu wirken, vor allem im Vergleich zu den lebenden Skeletten, die sich an seinem Tresen drängten.
Roetgen hatte sich gezwungen, eine
meladinha
herunterzuwürgen. Die Wirkung folgte unmittelbar und bestand in Darmkrämpfen, so heftig, dass er starr dastand und fürchtete, gleich die Besinnung zu verlieren. Voller Panik, er könne möglicherweise die Kontrolle über diesen jähen Aufruhr seiner Innereien verlieren, verließ er die Bar und wollte schnellstens in die Dünen. Er durchwühlte seine Taschen, fand aber nichts, das das Toilettenpapier ersetzen könnte, das er nicht zur Hand hatte, und so floh er in die Dunkelheit, krank, entmutigt.
Als er sicher war, nie mehr im Leben rechtzeitig das Meer zu erreichen, bog er rechts ab und ging wild drauflos, um möglichst viel Abstand zwischen sich und die Häuser zu bringen. Im fahlen Sternenlicht lag ein langgezogenes, von Müll übersätes Niemandsland, eine namenlose Müllkippe säumte die Straße auf ganzer Strecke. Roetgen stapfte in den Dreck, wurde von kaltem Schweiß befallen, dann von Krämpfen, die ihn in der Mitte falteten, bis er auf die Knie fiel wie ein verzweifelnd Betender. Und dort, bestürzt darüber, wie sein ganzes Sein zerfiel, wurde ihm die Welt ganz und gar gleichgültig, denn er dachte, hier werde er sterben, und morgen werde ihn dann eines von den Schweinen finden, mit heruntergelassener Hose zwischen den qualmenden Müllhaufen des Dorfs, Unrat inmitten des Unrats.
Mit seinen letzten Geldscheinen wischte er sich ab, was seine Angst kaum minderte.
Als er imstande war, sich hinzustellen, reinigte er seine klebrigen Hände mit Sand und ging wieder zur Straße, geleitet von einem einzigen Licht, das mehr oder weniger in der richtigen Richtung funkelte. Er erreichte ein kleines Fenster und blieb kurz stehen: Eine vom Halblicht ihrer Lampe vergoldete alte Schwarze stickte langsam an einem großen Stickrahmen aus dunklem Holz. Als sie Roetgen erblickte, hielt sie in ihrer Bewegung inne und betrachtete ihn mit einem schüchternen Lächeln. In dieser Momentaufnahme nach einem altflämischen Gemälde schimmerte die unendliche Sanftheit der Mütter auf und damit der einzige Schutzwall gegen den Wahnsinn der Welt.
Gemeinde Pacatuba
Das Flugzeug der VASP .
Als Zé ihm vorschlug, ihn zu seiner älteren Schwester mitzunehmen, die in einem kleinen Haus in den Bergen unweit von Fortaleza wohnte, war Nelson dermaßen betrunken gewesen, dass er sich weder daran, wie sein Freund ihn zum LKW brachte, noch überhaupt an die nächtliche Fahrt erinnern konnte. Als er inmitten eines Waldes aus Bananenstauden aufwachte, glaubte er zu träumen, einen der schönsten und heitersten Träume seit langem. Da ihm ein wenig kalt war, zog er die Seiten seiner Hängematte über sich und kuschelte sich wieder in
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