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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Ausfahrt zum Fischen abblasen müssen. Roetgen staunte. Konnten sie nicht trotzdem fahren?
    »Zu dritt geht es nicht«, antwortete der Fischer. »Wegen des Gleichgewichts auf dem Boot, zu dritt kippt es.«
    »Kann denn niemand einspringen?«
    »Die Jungen wollen nicht mehr zum Fischen rausfahren, und die anderen haben selbst zu tun, an Land oder auf den Booten. Ist einfach so, nichts zu machen. Müssen wir eben solange weiterhungern …«
    Marias Gesicht hatte sich verfinstert. Sie legte die Fische zum Grillen direkt in die Glut.
    »Ich kann mitkommen, wenn Sie wollen …«
    Roetgen hatte das gesagt, ohne nachzudenken, einfach aus dem Wunsch heraus, dieser Familie zu helfen. Angesichts von Joãos ungläubiger Miene schwor er, er habe viel Erfahrung mit Regatten und Hochseefischerei.
    »Es gibt einfach nichts auf der Welt, das ich so liebe«, schloss er, als wäre das ein überzeugendes Argument.
    »Wir sind zwei Tage und eine Nacht unterwegs,
francês
, das ist keine Vergnügungsfahrt.«
    »Ich bin’s gewohnt. Nehmen Sie mich mit, dann werden Sie ja sehen. Ich könnte wenigstens noch als Gegengewicht dienen, genau das scheint ja zu fehlen.«
    Moéma schaltete sich ein: »Du kannst ihm vertrauen. Ich kenne ihn: Wenn er dir anbietet mitzukommen, dann kann er’s auch.«
    »Gut, dann ist das abgemacht …« Fast schroff schob ihm João die Hand überm Herdfeuer hin. »Dann muss ich jetzt den anderen Bescheid sagen. Dauert nicht lang, ich bin gleich zurück.«
    Kurz darauf kam er zufrieden strahlend wieder.
    »Alles klar«, sagte er im Hinsetzen. »Morgen früh um fünf hier bei mir.«
    Sie aßen den Fisch mit den Fingern aus zerbeulten Alu-Schüsselchen. Solange das Essen dauerte und João den neuesten Dorfklatsch erzählte, schaute Moéma Roetgen jedes Mal, wenn ihre Blicke sich begegneten, bewundernd an.
     
    »Wie, daran erinnerst du dich auch nicht? Du bist wirklich unglaublich! Du hast ihn sogar gebeten, dir den Tanz beizubringen. Ich bin sicher, der bildet sich schon wer weiß was ein …«
    Roetgen war erschöpft von der Trinkerei des Tages und wäre nach dem Abendessen bei João am liebsten schnurstracks nach Hause gegangen, aber wenn er den beiden Frauen glauben sollte, hatte er sich mit Marlene und den anderen im
Forró
verabredet, dem Tanzschuppen hinter der Bar von Seu Alcides.
    »Was hab ich nur für ein blödsinniges Zeug geredet!«, maulte er, wütend auf sich selbst. Die Aussicht, wieder mit Marlene zusammenzutreffen, war ihm rundum zuwider.
    »Keine Angst«, meinte Thaïs, als sie seine Laune sah, »der ist jetzt bestimmt auch wieder nüchtern.«
    »Und wenn du mit uns tanzt, belästigt dich niemand. Du wirst sehen, das ist ein großartiger Ort!«
    Moéma führte sie durch die dunklen Straßen, sie gingen langsam, begegneten schweigsamen Gestalten oder lärmigen Grüppchen, die sie grüßten, ohne sie zu erkennen. Der Wind stichelte ihre bloße Haut mit Sand, trug den Geruch von Algen und brennendem Müll heran. Langsam wurden Fetzen einer wilden Musik hörbar …
    »Der
Forró
«, erklärte die junge Frau, »ist eine Art volkstümlicher oder eher sogar ländlicher Ball. Es gibt ihn nur im Sertão. Es wäre eigentlich ganz interessant, da mal eine Studie drüber zu machen. Der Begriff bezeichnet aber auch den Tanz selbst … Es ist fast ein bisschen verwirrend: Im Nordeste sagt man
zum Forró gehen
, aber auch
einen Forró tanzen
oder sogar
spielen

    »
Forró, forrobodó, arrasta-pé, bate-chinela, gafieira
 …« Thaïs leierte die Synonyme mit sichtlichem Vergnügen herunter. »Das ist alles ein und dasselbe. Wart bloß ab, was für Gesichter deine Kollegen machen, wenn du ihnen erzählst, dass du an so einem verruchten Ort warst … Für sie ist das der Gipfel der Vulgarität, und außerdem gefährlich und all so was! Um nichts in der Welt würden sie da auch nur einen Fuß reinsetzen.«
    Als sie Seu Alcides’ Bar betraten, mussten ihre Augen sich erst an das Licht gewöhnen – nach der im Dorf herrschenden Dunkelheit verliehen die hier und dort hängenden Petroleumlampen dem Raum das Gepräge eines Altarbilds im Museum. Seu Alcides, ein alter, trommelbäuchiger Mulatte mit einer von einem Gummi gehaltenen Brille ohne Bügel, thronte vor zwei Regalen, dank deren er sich bei Bedarf in einen Kleinhändler verwandeln konnte: Im linken reihte sich eine Flaschenkollektion von schlagender Monotonie – Alcides bot prinzipiell nichts als Cachaça feil –, im rechten stapelten sich

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