Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
Vom Netzwerk:
Gegenstände des Grundbedarfs, Kanister mit Sojaöl, Butter in Dosen,
Feijão
, Waschpulver,
Rapadura
; all das glitzerte in seinem Rücken wie aus Gold.
    Am Tresen aus gestampfter Erde lehnte ein halbes Dutzend Caboclos und betrank sich methodisch, immer auf ex; Speichelfäden troffen zwischen ihre Flipflops. An einem Billardtisch, der aussah wie nach vielen Jahren aus dem Wasser geborgen, lieferten drei Jungs aus dem Dorf sich lärmende Partien einer örtlichen Variante des Snookers, der
sinuca
. Ihre von den Lampen an die Lehmwände geworfenen Schatten flackerten je nach den Launen des Luftzugs.
    Die Trinker rückten beiseite und machten ihnen am Tresen Platz.
    »
Meladinha
für uns drei«, bestellte Moéma nach der Begrüßungszeremonie mit Alcides.
    »Bist du sicher?« Der Wirt zog die Augenbrauen hoch. »Dass du und Thaïs was vertragt, das weiß ich ja, aber er« – zweifelnder Blick auf Roetgen –, »ob er das aushält?
Meladinha
ist heftig, wenn man sie nicht gewohnt ist.«
    »Er muss halt üben. In Fortaleza kriegt er keine!«
    »Und meine ist die beste im ganzen
Sertão
!« Seu Alcides gab einen Finger hoch rötliche Melasse in die Gläser. »Reiner
Jandaíra
-Honig, ich kriege ihn von meinem Cousin …«
    »Das ist eine Bienenart«, erklärte Thaïs Roetgen flüsternd, während Alcides die Gläser mit einem guten Deziliter Cachaça aufgoss.
    »Eine ganz schöne Dosis«, meinte Roetgen furchtsam.
    »Eine Dosis für Männer«, meinte Alcides trocken und rührte den Inhalt der Gläser mit der Spitze seines Messers um. »Wirst schon sehen, Kleiner, das tut da gut, wo’s weh tut!«
    Die Umstehenden lachten fett und steuerten saftige Bemerkungen oder obszöne Gesten bei.
    Immer dieses Macho-Gehabe, dachte Roetgen, als ließen Unbildung und Armut sich nur durch solch eine überbetonte Männlichkeit kompensieren.
    Er folgte dem Beispiel der beiden jungen Frauen und trank sein Glas in einem Zug, konnte sich allerdings nicht dazu durchringen, hinterher auszuspucken, wie sie es mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit taten. Das Getränk war süßlich, etwas widerwärtig, aber jedenfalls besser als die reine Cachaça. Sobald sie sich wieder zum Tresen gewandt hatten, waren die Gläser erneut gefüllt.
    Die vom Wind kaum gedämpfte ohrenbetäubende Musik des
Forró
schien niemanden zu stören. Akkordeon, Triangel und Trommeln begleiteten raue, abgesungene, doch durch den schleppenden Akzent des Nordeste weicher wirkende Stimmen.
    »Die Lautsprecher werden von Autobatterien gespeist«, hatte Moéma auf Roetgens diesbezügliche Frage geantwortet.
    Sie wetteiferte mit Thaïs darum, wer von ihnen als Erste die Namen von Band und Stück erriet, jedes Mal, wenn ein neues erklang. Dominguinho:
Pode morrer nessa janela …
Oswaldo Bezerra:
Encontro fatal, Destino cruel, Falso juramento …
Trio Siridó:
Vibrando na asa branca, Até o dia amainsá
 … Wie die meisten Betrunkenen wiederholten sie dann die Wörter, ohne es selbst zu bemerken, zogen den Refrain vor, tanzten an Ort und Stelle. Und Roetgen, der außerstande gewesen wäre, ein einziges französisches Lied vorzusingen, spürte verwirrt die enorme Wärme, die durch diese Verschmelzung mit der Musik entstand; eine Nähe, die nichts Folkloristisches an sich hatte, sondern die geheime Energie eines Volkes von Pionieren.
    Es herrschte jetzt ein unaufhörliches Kommen und Gehen; schweißgebadete junge Leute kamen aus dem
Forró da Zefa
, tranken ein Glas und kehrten zum Tanz zurück. Die jungen Frauen, die durch die Bar defilierten – erhitzt, mit roten Hälsen und zum Auswringen nassem Haar –, schauten wie halluzinierende Madonnen. Alle, ob sie hinreißend aussahen oder wie Krähen, wirkten, als kämen sie direkt vom Liebesspiel. Roetgen ertappte sich dabei, dass er sie alle begehrte.
    Zwischen zwei Schallplatten gab es einen Abschnitt von Stille. Durch diese Pause wirkte die auffällige Gestalt, die nun ihren Auftritt hatte, besonders stark. Ein Indio in den Zwanzigern, der allein schon durch die ungewöhnliche, den Xingu abgeschaute Frisur von allen anderen abstach: Vorn reichte ihm sein schweres, schwarzes Haar bis direkt über die Augenbrauen, über den Ohren war es rund und fransig geschnitten, um dann lang den Rücken hinunterzufallen. Er trug Weiß, eine weite, im Bund geknotete Hose und ein weit ausgeschnittenes Trägerhemdchen – auf seinem haarlosen, ziegelroten Oberkörper zeichneten vom Kinn ausgehende feine Tätowierungen ein

Weitere Kostenlose Bücher