Wo Tiger zu Hause sind
ein heidnisches Symbol: Aus diesem Grunde sitzt auf ihm die Taube des Heiligen Geistes & versinnbildlicht die Überlegenheit unserer Religion über das Heidentum. Das göttliche Licht, Siegerin über alles Götzentum, steigt aus den ewigen Himmeln hernieder & verteilt seine Wohltaten auf den vier irdischen Kontinenten, verkörpert durch Nil, Ganges, Donau & Rio de la Plata, jene großartigen Ströme, denen Afrika, Indien, Europa & die Amerikas ihr Gedeihen verdanken. Der Nil trägt eine Maske, da seine Quellen noch unbekannt sind, die anderen werden jeder ganz nach seiner Natur mit einem Emblem gezeigt …«
»Sehr interessant …«, fuhr Alexander VII . fort, »Euch zufolge ist dies also ein Denkmal für die Verbreitung des Glaubens, das wir der Großzügigkeit von Innozenz X. & Eurem Genie verdanken. So hatte ich die Dinge noch nicht betrachtet. Vor allem nicht nach dem Disput, den Euch unlängst die Franziskaner geliefert haben …«
»Ich bleibe dabei«, insistierte Kircher, ohne auf die Anspielung einzugehen, »dieser Brunnen ist ein steinernes Sinnbild für den Ruhm der Kirche & für all jene Missionare, die der heiligen Sache dienen; er ist aber mehr noch als dies, & wenn ich mir erlauben darf …«
»Es wird für heute genügen, Hochwürden. Andere Obliegenheiten rufen mich, doch werde ich Euren …
sagenhaften Erzählungen
ein anderes Mal gern weiter lauschen.«
Dies war das erste & das letzte Mal, dass ich meinen Meister erröten sah … Ich bebte innerlich aus Furcht, er könnte eine jener Spitzen loslassen, zu denen er imstande war, doch beherrschte er sich & verneigte sich demütig, um den Ring zu küssen, den Alexander ihm hinhielt. »
Tamen amabit
semper« [11] , sagte er zwischen den Zähnen, wie es ihm die Regeln unserer Gesellschaft auferlegten. Auch Bernini und ich erwiesen dem Heiligen Vater dergestalt unsere Ehrerbietung, wonach dieser uns ohne weitere Umstände den Rücken zukehrte.
Sobald es gefahrlos möglich war, brach Bernini in lautes, leutseliges Lachen aus.
»Das ist der Preis dafür, die Partei eines Steinhauers zu ergreifen«, sagte er und schlug Kircher auf die Schulter. »Willkommen in der Bruderschaft der Schmierenkomödianten, Vater Athanasius, der Ihr als Märchenerzähler hingestellt wardet …«
»Wie kann er nur?!«, rief Kircher aus, immer noch genauso erbost. »Jahre der Arbeit, um endlich die Hieroglyphen zu entziffern, diesen seit Jahrhunderten von den Menschen gesuchten Schlüssel, der uns auf einen Schlag den Zugang zur antiken Wissenschaft & Philosophie ermöglicht! All das mit einer Handbewegung weggewedelt wie eine lästige Fliege! Wofür straft Gott mich derart? Bin ich denn immer noch zu stolz?«
»Aber nicht doch«, meinte Bernini tröstend, »vor ein paar Tagen noch war dieser Papst nur Kardinal Fabio Chigi, bekannt für … sagen wir, seinen Mangel an Urteilsvermögen & seinen Patrizierdünkel. Es mag ja stimmen, dass die Fähigkeiten mit dem Amte wachsen, aber in diesem Fall dürfte das eine Weile dauern …«
Diese Bemerkung entlockte Kircher ein Lächeln, begleitet von einem gespielt vorwurfsvollen Runzeln der Brauen. Ich hätte Bernini dafür umarmen mögen. Umso mehr, als er uns hernach mit der Herzlichkeit eines alten Freundes zu sich nach Hause einlud.
»
Carpe diem
, meine Guten! Lasst uns diesen Esel vergessen & lieber ein paar Flaschen französischen Wein leeren, die ich für diese Gelegenheit beiseitegeschafft habe. Ich für meinen Teil ziehe diesen Trunk dem Wasser der Flüsse vor, und kämen sie auch direkt aus dem Paradies!«
Berninis Wohnung befand sich unfern des Forums. Wir trafen dort mehrere Schüler des Bildhauers an, die der Zeremonie beigewohnt & uns vorausgegangen waren. Auch einige spärlich gekleidete Geschöpfe waren zugegen, die Bernini & seinen Lehrlingen als Modelle dienten, aber zugleich als Bedienstete &, so meinte ich aus den Vertraulichkeiten schließen zu können, die sie diesen Herren angedeihen ließen, als noch etwas anderes … Grundgute Mädchen übrigens, fröhlich & bisweilen sogar gebildet, die sich in unserer Gegenwart durchaus manierlich betrugen.
Wir nahmen also im Atelier am Gemeinschaftstische Platz, inmitten der überall im Saale verteilten Entwürfe aus Ton, der behauenen Steinblöcke & der Zeichnungen. Große weiße Leintücher, unter den Glasflächen des Daches ausgespannt, sorgten für ein sanftes Licht; der Wein floss frisch aus den kupfernen Bechern, die Geister waren
Weitere Kostenlose Bücher