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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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froh, & Kircher fand bald wieder zu seiner guten Laune zurück.
    Unermüdlich schilderte Bernini immer wieder seinen Auftritt mit dem Papst, & wie mein Meister ihm zu seinem eigenen Schaden beigesprungen war. Hinreißend imitierte er zum allgemeinen Gelächter die trocken-herablassende Stimme von Alexander  VII . Alle machten sich darüber lustig, & mein Meister lachte genauso wie die anderen über diese ätzende Satire, freilich ohne es Bernini gleichzutun.
    Nach der zweiten Flasche Weißwein aus Aÿ ließ unser Gastgeber ein paar Hühnern den Hals umdrehen & sie zum Braten in eine benachbarte Trattoria geben. So schlugen wir also die Zähne bald in köstlich gegartes Fleisch, während unser Gespräch sich wieder dem Brunnen zuwandte. Eine der jungen Frauen, die mit uns zu Tische saßen, fragte, ob man annehmen dürfe, dass all die auf dem Obelisken dargestellten Tiere eine Geschichte erzählten.
    »Ei freilich, meine Hübsche!«, rief Bernini und riss ein Stück aus einem Hühnerschenkel. »Vertrau unserem Vater Kircher hier, der liest diese Hieroglyphen, als hätte er sie selbst gezeichnet … Nicht wahr, Hochwürden?«, erkundigte er sich mit einem Augenzwinkern beim Angesprochenen.
    »Wir wollen nicht übertreiben«, meinte mein Meister, »ein klein wenig umständlicher ist es schon, & der wackere Caspar hier, der mir bei meiner Arbeit hilft, wird Euch bestätigen, welche Mühen jede einzelne Zeile dieser Übersetzung bedeutet. Die altägyptischen Priester haben die Sprache so weit verkompliziert, wie sie vermochten, auf dass ihr Wissen den Weltlichen unzugänglich bleibe; & die Jahrhunderte haben bewiesen, wie gründlich ihnen dies Vorhaben geglückt ist …«
    »Was erzählen diese Figuren denn nun?«, hakte die junge Frau nach.
    »Eine schöne Geschichte, die dir gefallen dürfte«, lachte Bernini, »die Geschichte der Liebe von Isis & Osiris … Pass gut auf, meine Tochter, aber lass mich solange nicht verdursten: Ein gewisser Ra, ägyptischer Gottkönig seines Standes, hatte zu seinem Unheil vier Kinder: zwei Töchter, Isis & Nephtys, & zwei Söhne, Typhon & Osiris. Diese Geschwister ehelichten sich untereinander, wie es die fröhliche Sitte der damaligen Mächtigen war. Isis wurde die Gattin des Osiris, Nephtys die des Typhon. Als der Vater mit dem Alter schwächer wurde, übertrug er die Verwaltung des Reiches Osiris, der dessen am würdigsten war. Dieser regierte Ägypten glückvoll: Mit Beistand seiner Gattin lehrte er das Volk die religiösen Riten sowie den Anbau von Weizen und Wein; er errichtete große & schöne Städte & sorgte solchermaßen für das Glück seiner Nation. Doch dann schmiedete Typhon, eifersüchtig auf Macht & Ruhm des Osiris, ein Komplott gegen seinen Bruder. Er lockte ihn in einen Hinterhalt, ermordete & zerstückelte ihn & warf seine Reste in den Nil …
    Die arme Isis, verzweifelt, aber immer noch verliebt, begab sich auf die Suche nach den Teilen ihres Gatten. Da sie hartnäckig suchte, fand sie dann auch fast alle, denn die Fische des Nils hatten sie respektvoll verschont. Bis auf einen Teil, einen ganz besonderen, dem gegenüber der Labyrinthfisch seiner Leckermäuligkeit nicht hatte widerstehen können … & dieser Teil, mein Püppchen, war eben der, welchen Isis als echte Frau am liebsten hatte, nämlich sein Dingens, sein Kerl, sein Piephahn, sein Bolzen, sein Zapfen, sein Hammer, sein Stängel, seine Rute, sein Vögelchen, sein Spätzchen, sein Werkzeug, seine Pfeife, seine Flöte, sein Schnippel, sein Schniedelwutz, sein Pillermann, sein Schwanz, sein Schwengel, kurz gesagt, sein Beglücker! Ja, meine Hübschen … sein Beglücker!«
    Gegluckse & Gelächter erschollen ob dieser Tirade, & Kircher selbst beglückwünschte Bernini für seinen
reichen
Wortschatz.
    »Eine Tragödie also«, fuhr Bernini fort, »für die Witwe Isis … Doch man unterschätze nicht die Beharrlichkeit der Königin, die mit Hilfe ihrer Schwester & des Anubis das Glied ihres Mannes aus Lehm & Speichel nachbildete, es ihm an geeigneter Stelle anklebte & ihm dank dem Himmel & diverser Praktiken wieder Leben einhauchte. Und dieser neue Apparat, so will mir scheinen, funktionierte besser als der alte, denn alsbald war Isis schwanger. Sie brachte einen Jungen namens Harpokrates zur Welt, der seinerseits König wurde, während Osiris, der erste Lebende, der je dem Tod entrissen ward, eine glückliche Ewigkeit in Iaru, dem Paradies der Ägypter, verlebte …«
    Die

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