Wo Tiger zu Hause sind
schriller, dissonanter Lärm, aus dem nur Yurupig und Petersen das Heulen des Sapajou mit seinem schwarzen Kopf, das kastagnettengleiche Klappern eines Tukanschnabels oder das jähe, hysterische Kreischen eines großen Aras heraushören konnten … Das Mysterium des Lebens schien sich in diesem urzeitlichen Tiegel zu konzentrieren, der zudem von Myriaden von Moskitos und anderen Insekten durchschwirrt wurde.
Ab fünf Uhr nachmittags wurde der grünliche Schatten zu dunkel, um noch weiterzugehen, und ohnehin mussten sie früh genug daran denken, ihr Lager vorzubereiten, damit sie noch Zeit hatten, den gewählten Ort notdürftig zu roden, ihre Hängematten anzubringen und ein wenig trockenes Holz zu sammeln. Elaine hätte nie gedacht, dass es so schwierig sein könnte, mitten im Wald etwas Brennbares zu finden: Das Holz war schwammig, vermoost, voll gärender Säfte, von Ameisenbauten und Termitengängen durchzogen, es war bewohnt, belebt und ebenso brennbar wie ein nasser Schwamm. Dass sie sich nachts um ein zischendes Feuer versammeln konnten, verdankten sie einzig und allein Yurupig.
Es war beschlossen worden, dass Elaine ganz hinten gehen sollte, um sie bestmöglich vor den Gefahren des Dschungels zu schützen; sie störten allerlei Tiere auf, von denen man nur noch die Flucht mitbekam, doch seit sie um Haaresbreite auf eine Korallenschlange getreten wäre, wusste Elaine nur zu gut, dass sie ebenso ausgesetzt war wie die anderen. Sie mochte mit Adleraugen auf den Boden spähen, jeder Baumstamm, jeder Huckel konnte sich als tödliche Falle erweisen. Wie in der Geisterbahn legten sich einem die riesigen Netze der Vogelspinnen übers Gesicht, klebrig wie Zuckerwatte, ein wütendes Zischen nahe am Ohr brachte das Herz zum Rasen, alles schien sich gegen die Eindringlinge zu verschwören, sich zusammenzutun, um sie zu verschlucken.
Yurupig und Petersen begegneten dieser Prüfung recht gelassen. Beide kannten sie tausenderlei Tricks, um Trinkwasser zu gewinnen oder einen Baum zum »Singen« zu bringen, bevor sie die Hängematte daran befestigten. Dennoch murrte Petersen ununterbrochen, verfluchte das Universum und seine Geschöpfe, während der Indianer schweigend einherging, mit geschärften Sinnen, durch und durch Jäger. Die ersten beiden Tage über hatte der Deutsche ihnen die kalte Schulter gezeigt, dann fand er – ohne ersichtliche Gründe für diesen plötzlichen Wandel – zu seinem Gleichmut zurück und begegnete den anderen fast leutselig.
Als sie sich am Abend des vierten Tags ums Feuer versammelten, war alle Hoffnung, die Gabelung des Flusses bald zu erreichen, zunichte.
»Wir werden das Essen noch stärker rationieren müssen«, sagte Mauro. »Bei dem Tempo reicht es sonst nicht mehr lang.«
»Was meinst du, welche Strecke haben wir heute zurückgelegt?«, fragte Elaine.
»Kein Ahnung … zwei Kilometer, wenn’s hoch kommt. Aber ich bin erledigt, als wären es siebzig gewesen!«
Er griff sich in den Halsausschnitt des T-Shirts und kratzte sich wild den Oberkörper, dann betrachtete er von nahem, was er zutage gefördert hatte: eine Art winziger Spinne, voll Blut gesogen, in einem Hautsack.
»Das kann ja nicht wahr sein!« Er war angewidert. »Was ist das jetzt wieder?«
»
Carrapato
…«, meinte Yurupig, ohne überhaupt hinzublicken.
»Eine Zecke«, sagte Detlef müde. »Die Filzlaus des Buschs … Keine Sorge, wir haben alle welche, und es wird kein Spaß, sie rauszupulen, wenn wir mal Zeit haben, uns ernsthaft darum zu kümmern. Das war eine der Überraschungen, die ich euch versprochen hatte …«
Elaine verspürte unwillkürlich ein scheußliches Jucken in der Scham und unter den Achseln.
»Darauf hätte ich ohne weiteres verzichtet …« Sie versuchte ein Lächeln. »Also, dann steigt jetzt die Operation ›Onkel Doktor‹. Will jemand anfangen?«
»Gern«, sagte Mauro und zog seine Hosenbeine hoch. »Der Mist brennt derart …«
Seine Knöchel waren rot gestreift, von scharfkantigen Gräsern zerschnitten. Elaine tupfte sie mit Jodtinktur ab, dann versorgte sie seinen Hals und die Unterarme. Yurupig ließ sich eine hässliche Schramme auf der Wange desinfizieren, Petersen hingegen verweigerte jegliche Hilfe und knurrte nur, da habe er Schlimmeres erlebt, außerdem nutze es sowieso nichts. Dann kümmerte Mauro sich um Elaine.
»Wir sehen ja toll aus«, meinte er, nachdem er ihre Wunden rot gefärbt hatte. »Am Ende machen wir noch den Affen Angst!«
Ȁhm, Mauro,
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