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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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sondern intensiv genug zu leben, um nichts zu bereuen, wenn es einmal so weit war. Sie sagte das nicht aus Mangel an Mitgefühl. Wenn Loredana es mit dem Thema ernst meinte, warum war sie dann in Brasilien und nicht zu Hause bei ihren Nächsten geblieben?
    Seit jenem ersten Mal, als sie in der Küche über Gott und die Welt geplaudert und sich dabei angefreundet hatten, schätzte Loredana das Mädchen für seinen nüchternen Blick auf die Dinge, von keinerlei Romantik angekränkelt – denn Romantik sah Loredana stets voller Misstrauen. Dass sie ihre Verliebtheit an die Wände schrieb, lag nicht daran, dass sie sich in ihrem Alleinsein gefiel, sondern bezeugte eher einen Bann, das Relikt von etwas Afrikanischem, das sie dazu brachte, Hände voll Erde zu essen, wenn sie traurig war, oder den kleinen Affen aus rohem Holz, den Eléazard im Wohnzimmer auf ein Bord gestellt hatte, mit dem Gesicht zur Wand zu drehen.
    »Ich weiß nicht recht …«, gestand Loredana am Ende. Ein unwiderstehlicher Drang zu weinen schnürte ihr die Kehle zu. »Ich habe Angst vorm Sterben.«
    Soledade nahm sie in die Arme.
    »Ich weiß, was du brauchst.« Sie strich ihr übers Haar. »Wir gehen zusammen zu Mariazinha … Das ist eine ›Heiligenmutter‹, nur sie kann dir helfen.« Und in verschwörerischem Tonfall: »Ich habe gesehen, wie sie dafür gesorgt hat, dass ein Zitronenbaum einging, einfach nur, indem sie ihn ansah!«

São Luís
    Eine rein banktechnische Sache, ganz einfach.
    Seit Monaten empfing Carlotta ihn nur mehr im Morgenmantel und derart betrunken, dass sie noch verwahrloster wirkte, daher war der Oberst angenehm überrascht, seine Frau heute Abend in einem Chanel-Kostüm zu sehen; sie war geschminkt und trug Schmuck. Kurz hoffte er auf einen Neuanfang. Doch als sie trocken den Vorschlag abwies, gemeinsam ein Glas zu trinken, sondern ihm mitteilte, sie hätten zu reden, war er sofort auf der Hut.
    »Das hier ist mir kürzlich in die Finger geraten«, sagte sie und warf einen Aktendeckel auf den niedrigen Wohnzimmertisch. »Ich erwarte eine Erklärung dafür.«
    Moreira erkannte das glänzende Deckblatt des Finanzplans, verweilte kurz bei den braunen Flecken, die Carlottas Handrücken verunzierten, und den Rötungen ihrer Haut, die man nicht mehr übermäßigem Aufenthalt in der Sonne zuschreiben konnte, und stellte sich aufs Schlimmste ein.
    Zwei Stunden darauf verkroch er sich in seinem Arbeitszimmer im ersten Stock, mit ausgetrocknetem Mund nach all den vergeblichen Verteidigungsreden; er goss sich ein Glas Whisky ein und polkte lange an der lästigen kleinen schorfigen Stelle an einer Augenbraue herum. Er hätte nie gedacht, dass das »Schlimmste« solche Ausmaße annehmen könnte. Dass seine Frau ihm eine Szene machte, weil er ohne ihr Wissen ihr Vermögen nutzte, das war absolut vorhersehbar. Dass sie aber vor lauter Wut verlangte, er solle die in ihrem Namen getätigten Grundstückskäufe rückgängig machen, das hätte er nie für möglich gehalten. Hochstapler, Gangster, gewissenloser Profiteur … alle nur erdenklichen Schimpfworte und Anklagen hatte er sich anhören müssen. Und sogar noch, als sie ihm drohte, sie werde ihn wegen Unterschlagung belangen, hatte sie jene beeindruckende Ruhe bewahrt, die ihn an die Carlotta von früher erinnerte, jene, die er immer noch liebte, trotz der ehelichen Hölle, die sie ihm seit der Sache mit dem Foto bereitete. Dabei hatte er das Mädchen nicht mal gevögelt. Ironie des Schicksals!
    Er zündete sich eine Zigarre an und strich so lange an seinem Schnurrbart herum, bis er eine weitere Kruste zum Herumpolken fand. Noch wagte er nicht zu hoffen, dass seine Frau das Ganze überschlafen und dann zur Vernunft kommen könnte; ebenso gut konnte sie genauso verstockt bleiben wie jetzt. Jedenfalls galt es nun, rasch Vorkehrungen zu treffen, um sich ein für alle Mal vor solchen Launen zu schützen. Der Landbesitz war das Fundament all seiner Pläne, ohne ihn war keine Spekulation möglich, kein Resort, das gesamte Gebäude stürzte zusammen … Der einfachste Ausweg bestünde darin, alles selbst zu kaufen. Die dazu nötigen Mittel würde er sich allerdings nur dadurch beschaffen können, auf seine sämtlichen Besitztümer noch weitere Hypotheken aufzunehmen.
    Moreira öffnete den kleinen Tresor, der pro forma und um der Ästhetik willen unter einem Holzschnitt von Abrão Batista verborgen war, entnahm ihm einen Stapel Akten und Bankunterlagen, in deren Studium er sich vertiefte.

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