Wo Tiger zu Hause sind
bitte …«, sagte Detlef da.
Der junge Mann begriff, worum es ihm ging, stand auf, Yurupig ebenso. Sie fassten Detlefs Trage und schafften sie außerhalb des Feuerscheins. Elaine wandte sich dem Inhalt der Medikamententasche zu, ohne vom Plätschern des Urins im Laub auch nur Notiz zu nehmen: Vor ein paar Tagen wäre eine solche erzwungene Intimität ihr noch furchtbar peinlich gewesen, doch war für Konventionen jetzt kein Platz mehr. Als sie den Verband erneuerte, musste sie feststellen, dass Detlefs Wunde von Maden nur so wimmelte; die fetten Schmeißfliegen, die sie bei ihrer Wanderung quälten, hatten trotz aller Sorgfalt, mit der sie die Wunde zu schützen bemüht war, ihre Eier hineingelegt. Das Bein war schwärzlich angelaufen, die Haut gespannt, fast zum Platzen. Eine Gliedmaße wie von einem Ertrunkenen. Der Wundbrand fraß sich unaufhörlich vor. Drei Ampullen Morphin noch, eine Packung Sulfonamide … Das würde nicht genügen, um die Entzündung einzudämmen, dessen wurde sie sich entsetzt bewusst. Die Vorstellung traf sie, dass Detlef möglicherweise nicht mit ihnen nach Brasilia zurückkehren würde. Sie verdrängte sie sofort, um ihm kein Unglück zu bringen. An das Schlimmste zu denken heißt, dem Blitz einen Stab aus Platin hinzuhalten … Sie wusste nicht mehr, wer das gesagt hatte, glaubte an diesen Sinnspruch aber wie an ein Gebot.
Als Yurupig und Mauro die Trage wieder beim Feuer absetzten, schlotterte Detlef vor Schmerzen. Sein Gesicht troff von Schweiß.
»Möchtest du eine Spritze?« Elaine tupfte ihm die Stirn ab.
»Noch nicht, das wird vorbeigehen … Petersen! Kommen Sie doch einmal …«
»Da bin ich schon,
Amigos
… Zu Diensten, was steht an?«
Detlef entfaltete das Stück Papier, auf das er seinen Lageplan gekritzelt hatte:
»Nach meiner Schätzung sind wir irgendwo hier in der Gegend …« Er deutete auf einen Bereich südwestlich der Sümpfe, im ersten Viertel der ungefähren Wegstrecke bis zur Flussgabelung: »Meinen Sie nicht auch?«
»Ja«, sagte Petersen nach einem flüchtigen Blick. »Mehr oder weniger, ich denke schon. Wir müssten den Sumpf bald erreicht haben. Dann fällt die Orientierung leichter, aber besser vorwärtskommen werden wir da nicht …«
»Genau das hatte ich befürchtet«, sagte Detlef zu Elaine. »Wir werden noch mindestens zehn Tage brauchen; viel länger, als ich gedacht hatte. Tut mir furchtbar leid.«
Petersen zuckte mit den Schultern und schnaubte vulgär durch die Nase: »Sie hätten auf dem Boot auf mich warten sollen, ich hab’s ja gesagt. Mit einer Frau, einem Kind und einer Trage durch den Dschungel … Ein schöner Haufen Idioten!«
»Schnauze!«, zischte Mauro feindselig. »Sie allein sind an allem schuld, was uns passiert!«
»Er krepiert!« Wieder zuckte Petersen mit den Schultern. »Er krepiert, und ihr anderen auch … Ach, scheiß drauf, verdammt nochmal!«
Er kehrte ihnen den Rücken zu und kletterte in seine Hängematte. Man hörte ihn noch unterm Moskitonetz schniefen.
»Er hat nicht ganz unrecht«, meinte Detlef betrübt, »wenn ihr mich zurückgelassen hättet, wärt ihr zwei-, dreimal schneller. Natürlich könnte man mich zum Boot zurückbringen, aber …«
»
Aber
… das kommt absolut nicht in Frage«, unterbrach ihn Mauro seelenruhig. »Wir schaffen es, und kein Mensch krepiert, glaubt mir. Ich habe meiner Mutter versprochen, zu Weihnachten in Fortaleza zu sein, und das werde ich auch. Fertig.«
»Diese Diskussion sollten wir uns sparen.« Elaine bedachte ihn mit einem Lächeln voll Zuneigung. »Alle ins Bett jetzt, wir brauchen die Ruhe!«
Mauro und Yurupig hievten Detlef in seine Hängematte, während Elaine das Bein hielt. Trotz ihrer Anstrengungen, ihm jeden Ruck zu ersparen, weinte er fast vor Schmerzen. Elaine wartete kurz, dann spritzte sie ihm auf sein Bitten hin eine Dosis Morphin. Als er sich etwas beruhigt hatte, gab sie ihm einen raschen Kuss auf die Lippen und zog die Plane über ihm zusammen, die als Dach diente.
Elaine schlief wie ein Stein. Mitten in der Nacht tauchte sie aus einem Traum auf, erfüllt von dem genauen Gefühl, sie sei nach einem schwindelerregenden Sturz auf dem Boden aufgeschlagen. Im schlierigen Halbschlaf streckte sie den Arm aus, suchte Eléazards Schulter, seine Wärme, und kam im Gefängnis ihrer Hängematte ganz zu sich. Durch das unsichtbare Mückennetz glomm die Glut noch ein wenig, ohne ganz aus der sie umgebenden Finsternis hervortreten zu können. Die
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