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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Stille war von der rätselhaften Undurchdringlichkeit des Dunkels. Elaine schwamm auf der Oberfläche des Schlafs, jäh hatte sie eine Vision ihres Lagers: ein paar winzige, im Leeren baumelnde Kokons, dem Zertrampeltwerden schutzlos ausgeliefert. Verblüfft hörte sie die Geräusche einer sich nähernden Demonstration, Slogans, dann jenes aus dem Stadion bekannte Geräusch, wenn eine Menge enttäuscht ausatmet. Ein Windstoß ließ den Dschungel ringsum krachen, und das Prasseln des Regens auf der Überdachung der Hängematte vertrieb ihre Halluzination restlos. Elaine kauerte sich zusammen, frierend, von dem Wunsch erfüllt, den Schlaf wiederzufinden, und versuchte, die Bilder des Todes zu verjagen, die auf ihr Moskitonetz einstürmten. Mit all ihren Sinnen ersehnte sie den Tag.
     
    Frühmorgens, als Yurupig zum Wecken in die Hände klatschte, regnete es nicht mehr. Verschlafen vergaß Mauro, die Plane beiseitezuheben, bevor er den Reißverschluss aufzog, und das Wasser, das sich in ihr gesammelt hatte, klatschte ihm ins Gesicht, etliche Liter. Die Kalaschnikow in der Hand, sprang er aus der Hängematte wie der Teufel, der sich am Weihwasser verbrannt hat. Das Missgeschick lockte sogar dem Indio ein kleines Lächeln auf die Lippen, was sonst kaum je geschah. Er hatte trotz des nächtlichen Gusses ein Feuer entzünden können, an dem Mauro sich wärmte, während er das Gewehr mit einem Taschentuch trocknete.
    »Wenn du es nicht ganz und gar auseinanderbaust«, warnte Petersen fröhlich, »rostet der Verschluss, und dann taugt das Ding nur noch zum Nüsseknacken.«
    »Meiner Meinung nach«, Mauro sah ihn nicht einmal an, »hatte das Wasser keine Zeit einzudringen. Wir können es ja gleich mal ausprobieren, wenn Sie das möchten.«
    Er entsicherte das Maschinengewehr und richtete den Lauf auf den Deutschen.
    »Schluss damit!«, gebot Detlef entschieden. »Ich will nie wieder sehen, dass du mit dieser Waffe spielst, verstanden? Hilf mir lieber hier raus, ich bin völlig erfroren.«
    Elaine, die hinter einem Baum verschwunden war, kam und half Mauro und Yurupig, Detlef auf die Trage zu hieven.
    »Wie fühlst du dich?«, erkundigte sie sich, als er wieder beim Feuer lag.
    »Wie ein Omelette Surprise: Außen heiß, innen eiskalt … Aber Schmerzen habe ich keine, ich bin noch ein bisschen in den Wolken …«
    »Es hat viel geregnet in der Nacht«, sagte Yurupig und hielt ihm einen Becher Kaffee hin. »Schlecht für uns.«
    »Das wird ja hoffentlich nicht die Regenzeit sein!«, versuchte Mauro zu scherzen.
    »Nein«, antwortete der Geologe. »Die fängt erst in vier bis sechs Wochen an. In der Hinsicht droht uns nichts. Dann und wann ein ordentlicher Guss, vor allem nachts, mehr haben wir nicht zu befürchten.«
    ›Schade eigentlich‹, dachte Mauro. Das Abenteuer fing an, ihm zu gefallen, und trotz der Sorgen, die er sich um Detlef machte, fühlte er sich eher beflügelt.
    Etwas später, als der Dunst sich verzogen hatte, brach die kleine Expedition wieder auf.
     
    Sie waren seit zwei Stunden unterwegs, Petersen und Yurupig an der Trage, da sackte Mauro bis zum Knie in ein unterm Gras verborgenes Schlammloch. Er rief Yurupig zu Hilfe, der ihm heraushalf und mit ihm zu den anderen ging.
    »Wir haben den Sumpf erreicht«, verkündete Mauro fröhlich, »da verdienen wir doch eine kleine Pause, oder? Was meinen Sie, Detlef?« Er drehte sich zu ihm um, und das Lächeln verschwand jäh von seinen Lippen. »Detlef!«
    Elaine, die etwas abseits auf einem Baumstamm saß, stürzte herbei: Detlef glänzte vor Fieber, seine Augen waren halb geschlossen, er atmete mühsam. Sie sprach ihn ängstlich an, doch er reagierte nicht, war fern von ihr und von allem, jenseits von Schmerz und Sprache.
    »Yurupig, ich brauche Wasser!«
    Sie löste in einer Tasse eine starke Dosis Aspirin auf und flößte es Detlef ein.
    Petersen trat hinzu, während Elaine den Verband abnahm. Wieder wimmelte die Wunde von Maden, zwar weniger als das letzte Mal, doch war das Bein weiter angeschwollen und jetzt auch der Oberschenkel dunkel marmoriert.
    »Das Bein muss ab, und zwar schleunigst«, sagte Petersen.
    Elaine sah ihn an, als hätte er etwas Obszönes geäußert, doch er erwiderte ihren Blick vollkommen ungerührt. Seine Augen glänzten, die Pupillen standen anormal geweitet in den Höhlen des mageren Gesichts:
    »Die Blutvergiftung steigt … Wenn wir das Bein nicht abnehmen, ist er hin, fertig. Ihre Entscheidung.«
    Noch bevor sie Yurupigs

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