Wo Tiger zu Hause sind
traurigen Blick gesehen hatte, wusste sie, er hatte recht. Die Tränen stiegen ihr in die Augen, weniger wegen der Amputation, die sie jetzt auch als unvermeidbar erkannte, als weil sie wusste, dass sie dazu absolut nicht imstande wäre.
»Ich kann das übernehmen, wenn Sie wollen …«, sagte Petersen, »Hab ich an der Front in Russland mehr als einmal gemacht.«
»Sie?!« Mauro war sprachlos. »Und warum wollen Sie das tun?« Seine Stimme überschlug sich vor Wut, er verfiel vor lauter Verachtung ins Duzen: »Erst versuchst du uns auf dem Boot zurückzulassen! Und jetzt willst du uns einreden, dass … Arschloch! Du willst ihn umbringen, das ist alles!«
Petersen wollte entgegnen, es sei noch die Frage, ob es so viel schlimmer sei, jemanden kaltblütig umzubringen, als zuzusehen, wie er verreckt, aber es war ihm zu kompliziert zu erklären, also wandte er sich ab.
»Wir
müssen
amputieren, verstehst du nicht?«, fragte Elaine sanft. »Schau mich an, bitte, könntest du das denn tun?«
Sie musterte Mauro, während er verzweifelt nach Worten suchte.
»Hab keine Angst«, sie nahm ihn in die Arme, »wenn er ihm etwas Böses wollte, hätte er einfach nur den Mund gehalten … Mut jetzt! Detlef wird uns brauchen.«
Elaine trat zu Petersen:
»Tun Sie’s«, sagte sie tiefernst. »Ich übernehme die Verantwortung für die Entscheidung.«
»Ach, jetzt auf einmal bin ich kein Arschloch und kein Mörder mehr? Sie müssen sich schon entscheiden!«
Elaine sah ihn flehend an.
»Gut, ich mach’s. Aber nur für Sie, ganz allein für Sie.«
Sie gingen ein Stück zurück, bis sie zu einer etwas freieren Stelle kamen. Auf Petersens Anweisung machte Yurupig ein Feuer, genügend groß, um Wasser zu kochen und die Klingen zu sterilisieren. Als alles bereit war, ging Herman ein Stück beiseite und kam schniefend zurück. Detlef lag am Boden, bereits halb bewusstlos dank des Morphins, das Elaine ihm gespritzt hatte.
»Du da, Rotznase«, sagte Petersen zu Mauro, »du hältst seine Schultern fest, und Yurupig das gesunde Bein.«
»Und ich?«, fragte Elaine.
»Sie tun, was ich Ihnen sage, eins nach dem anderen. Sie brauchen nur die Schlinge zum Abbinden zu halten und die Arterien abzuklemmen, sobald sie zu sehen sind.«
Nur ein einziges Mal, als Petersen den Sägedraht aus der Überlebensausrüstung an seinem Schenkelbein ansetzte, schrie Detlef, lang, aus der Tiefe seines Komas. Die Verkrampfung der Muskeln um den bloßgelegten Knochen herum, die heftigen Zuckungen des Verletzten … all das war für Elaine nicht so schrecklich wie der Anblick des abgetrennten Beins, das obszön neben Detlefs Körper lag, während sie die Blutung stillte.
»So, das wär geschafft«, stellte Herman fest, nachdem er das offene Fleisch mit dem abgekochten Wasser gereinigt hatte. »Der Stumpf muss an der Luft bleiben, damit er vernarbt; kein Jod, nichts, nur Wasser und etwas Gaze als Schutz. Ich habe den Schnitt hoch oben angesetzt, ich hoffe, das reicht.«
Blass umstanden sie den gepeinigten Körper, die Gesichter hager wegen der Erschöpfung und der extremen Anspannung, die dieses Gemetzel ihnen bereitet hatte.
»Danke.« Elaine nahm die Hand des alten Deutschen. »Ich weiß noch nicht wie, aber das werde ich Ihnen nicht vergessen.«
Petersen grummelte vor sich hin, diese Gefühlsaufwallung war ihm sichtlich peinlich. Er richtete sich auf, tat ein paar Schritte, schob den Fuß unter das abgetrennte Bein und kickte es weit ins Gebüsch.
Dann drehte er sich wieder zu ihnen um: »Schafft ihn auf die Trage, wir haben genug Zeit verloren!«
Aus Eléazards Notizen.
NICHT NUR DIE MUSIKTHEORIE in der
Musurgia
, sondern Kirchers gesamtes Werk ist ein »kommunikatives« Projekt, oder besser gesagt: ein kolonialistisches.
MANIE DER HERMENEUTIK : »
Das Symbol
«, schreibt Kircher, »
ist der sichtbare Ausdruck eines verborgenen Mysteriums, das heißt, seiner Natur nach leitet es unseren Geist dank einer Ähnlichkeit zu etwas, das sehr verschieden ist von den Dingen, die unseren äußeren Sinnen dargeboten werden; zu etwas, dessen Eigenschaft es ist, vom Schleier eines dunklen Ausdrucks verhüllt, versteckt zu werden
.« (
Obeliscus Pamphilius.
) Immer wieder der Tanz der Sieben Schleier … Warum denn nur sollten die Dinge auf etwas anderes hindeuten als auf ihre eigene strahlende Blöße? Welche perverse Erotik sollte uns dazu verleiten, ihnen nachzustellen wie den Kaninchen?
ROTKÄPPCHEN : »Wie versteht Ihr es nur so
Weitere Kostenlose Bücher