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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Lampião sich so leicht besiegen lassen, nicht einmal bei einem Überraschungsangriff. Diese Geschichte war allzu wenig überzeugend … Dafür war die andere Version es umso mehr, diejenige, die fast sofort nach der Tragödie von Angicos die Runde gemacht hatte. Genährt wurde das Gerücht durch den Bericht eines Paters, José Kehrle, und die Brüder João und David Jurubeba hatten es bestätigt: Lampião und die zehn
Cangaceiros
, die ihn in seinem Martyrium begleitet hatten, waren vergiftet worden.

20 . Kapitel
    Wie Kircher sich genötigt sah, Königin Kristina eine anstößige Geschichte zu erzählen, die er lieber für sich behalten hätte.
    A m nächsten Tag, dem 24 . Dezember 1655 , beehrte uns also Kristina von Schweden wie geplant mit ihrem Besuch.
    Kircher oblag die Aufgabe des Fremdenführers; unaufhörlich dem Gast Erklärungen gebend, führte er ihn rasch & geistreich durch große Bereiche seines Museums, wobei er sich nur bei den der königlichen Aufmerksamkeit würdigsten Gegenständen aufhielt. Hier eine mit Gold & Drachen bestickte chinesische Robe; da eine ägyptische Intarsie im schönsten Jaspis oder ein in Jade geschnitzter & auf einem drehbaren Ring angebrachter Abraxas; des Weiteren eine Reihe von Zerrspiegeln … Einer davon machte einen ganz enormen Eindruck auf Kristina von Schweden; betrachtete man sich darin der Länge nach, so sah man, wie sich der Kopf nach und nach zu einem Kegel langzog, wie dann vier, drei, fünf & acht Augen erschienen; zugleich wurde der Mund einer Höhle ähnlich, & die Zähne ragten heraus wie schroffe Felsen. Hielt man den Spiegel der Breite nach, so sah man sich zunächst ohne Stirn, dann hatte man auf einmal Eselsohren, doch ohne dass Mund & Nasenlöcher irgend entstellt waren! Allerdings vermag ich die Vielfalt all dieser bizarren Erscheinungen gar nicht mit Worten zu beschreiben. Unermüdlich erläuterte mein Meister die katoptrischen Prinzipien, welche diesen Erfindungen zugrunde lagen & auch jenen, noch viel interessanteren, zu denen er die Pläne bereits im Kopf hatte, falls denn irgendein Mäzen ihre Verwirklichung ermöglichen wollte.
    Nach dem katoptrischen Museum, dem schönsten & vollständigsten der Welt, zeigte Kircher Kristina von Schweden den brasilianischen Python & den See-Elefanten, zwei riesenhafte Tiere, als dessen einziger Besitzer er sich rühmen durfte, dank seines hervorragenden Rufes. Und als die Königin sich hinlänglich an der Größe dieser Riesen der Schöpfung begeistert hatte, zeigte er ihr einen Stich & forderte sie auf, das dargestellte Tier zu identifizieren.
    »Was für ein Ungeheuer mag das sein?«, lachte Kristina. »Wie ein Dromedar, das auf einen Ast geklettert ist …«
    »Dies, Euer Hoheit, ist ein Floh, und sein Hochsitz ein menschliches Haar; beides zum Entsetzen der Augen … & zum Entzücken des Geistes von meinem Mikroskop vergrößert. Seht selbst …«
    Und er führte ihr das Instrument & einige zu diesem Zwecke vorbereitete Objekte vor. Über das Okular gebeugt, stieß Kristina von Schweden kleine staunende Rufe aus, als sie sah, wie allein dank der Linsen diese winzigen Tiere zu erschröcklichen Untieren heranwuchsen, während mein Meister unverdrossen Vorträge über das unendlich Kleine & das unendlich Große hielt.
    Von dort wechselten wir zu jenem geflügelten Drachen, den Kardinal Barberini unserem Museum überlassen hatte, ein großartiges Wesen, geeignet, den Menschen Furcht und Schrecken einzuflößen. Königin Kristina jedoch war unerschrocken & blieb dem Ruf treu, den sie ob ihrer geistreichen Finesse genoss:
    »Vor einigen Monaten berichteten mir deutsche Jesuiten«, so sagte sie, »sie hätten Drachen gesehen
priapos suos immanes, in os feminarum intromittentes, ibique urinam fundentes
[12] . Ich tadelte sie zwar«, so fügte sie hinzu, »dass sie eine solche Schändlichkeit geschehen ließen, doch sie lachten nur.«
    »Von so etwas habe ich noch nie gehört«, antwortete Kircher. »Diese Patres allerdings muss man tatsächlich ob ihrer Zügellosigkeit schelten. Ich selbst hätte keinen Versuch unterlassen, diese Drachen zu fangen oder zu …
konvertieren
, wie es Euch beliebt …«
    Nach diesem geistreichen Wortwechsel wurden noch das zweiköpfige Lamm besichtigt, der Paradiesvogel mit drei Beinen, der Menschenfuß mit sechs Zehen & das ausgestopfte Krokodil, das unter einem nachgebildeten Palmbaum zu schlafen schien.
    »Dies Krokodil«, so erläuterte mein Meister, »ist

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