Wo Tiger zu Hause sind
das Sinnbild der göttlichen Allwissenheit, denn nur seine Augen tauchen aus dem Wasser auf, & obgleich es selber alles sieht, bleibt doch sein ganzer Rest den Sterblichen verborgen. Es hat keine Zunge, und auch die göttliche Vernunft bedarf keiner Worte, um sich zu offenbaren. Plutarch berichtet, dieses Tier lege sechzig Eier, die in genau derselben Anzahl Tage reifen. Auch lebt es meistens sechzig Jahre lang, und diese Zahl ist die erste, welche die Astronomen in ihren Berechnungen verwenden. Nicht ohne Grund also widmeten die altägyptischen Priester ihm eine Stadt, Crocodilopolis, und schmücken die Bewohner von Nîmes bis zum heutigen Tage ihre Mauern mit seinem Abbild.«
Wir durchwanderten den ägyptischen Teil des Museums und steuerten auf jene Kuriosität zu, die üblicherweise den Besuch abschloss – einen Stein von dreihundert Gramm Gewicht, der Harnblase von Pater Leo Sanctius entnommen, der bei dieser Operation leider verstorben war –; da blieb Königin Kristina vor einer kleinen Statue stehen, die ich noch nie eigens bemerkt hatte: Eine recht gedrungene Figur, die zu kauern schien, wobei sie sich die Seiten hielt. Auf dem Haupt trug sie einen Kopfschmuck in Form eines Skarabäus, dessen Beine wie Zierbänder über ihren Nacken hinausragten.
»Und dies, Hochwürden?«, erkundigte sich Kristina.
»Ein unbedeutendes ägyptisches Idol …« Kircher schickte sich an weiterzugehen.
»Mir will es allerdings durchaus bedeutend erscheinen«, erwiderte die Königin und nahm die Statuette zur Hand. »Was für eine seltsame Gottheit mag das sein?«
Mit Kirchers Mimik vertraut, erkannte ich, dass er lieber über etwas anderes geredet hätte, & seine Reaktion stachelte meine Neugier nur noch mehr an.
»Ich fürchte, Hoheit«, sagte er peinlich berührt, »das ist nichts für empfindliche Ohren. Wenn Ihr gestattet, möchte ich Euch dringend bitten, mir eine Erklärung zu erlassen, da dies Eurem Rang & Eurem Geschlecht entspräche.«
»Nun, eben das gestatte ich nicht …«, lächelte Kristina gespielt naiv. »Wisset, dass mein Rang mir gestattet, was anderen Frauen & sogar den meisten Männern verwehrt bleibt. Lasst Euch von meinen Roben nicht täuschen; nicht das Geschlecht macht einen König oder eine Königin; ihre Herrschaft macht sie dazu, sonst nichts.«
»Die Eure, Majestät, war groß & bemerkenswert unter den größten. So verneige ich mich & erbitte Eure Verzeihung für meine unziemliche Zurückhaltung. Dies Idol stellt den
Deus Crepitus
der Ägypter dar, den ›Furzgott‹, & zwar in der drolligen Haltung, die seiner Bestimmung entspricht …«
Königin Kristina wusste vollkommen unbeteiligt zu bleiben, wodurch sie bewies, wie sehr zu Recht sie den Ruf als aufgeklärte Herrscherin besaß, stets begierig, ihr Wissen zu erweitern, und sei es in einem anstößigen Bereich wie diesem, statt kindisch darüber zu kichern. Einige Personen in ihrem Gefolge glucksten angesichts des stinkenden Geschäftes dieser Gottheit & machten ironische Bemerkungen, doch sie gebot ihnen mit einem einzigen Blicke Schweigen, in welchem die ganze Macht ablesbar war, welche diese Frau über sie besaß.
»Bitte, Hochwürden, sprecht weiter. Wie kann es sein, dass die Erbauer der Pyramiden & der Bibliothek von Alexandria, die Erfinder der Hieroglyphen & so vieler anderer wunderbarer Geheimnisse sich zu einem solch schamlosen Kult erniedrigten? Meine Neugier, ich gestehe es, wird von etwas geweckt, das auf den ersten Blick so gar keinen Sinn zu ergeben scheint …«
»So werde ich Euer Majestät den von den Ägyptern vergöttlichten Darmwind erläutern. Nun gut, auf die Gefahr hin, den einen oder anderen zu verletzen, indem ich eine lächerliche Seite dieses großen & weisen Volkes ins Licht des Tages zerre …
Unter den Völkern, die den verschiedensten Erscheinungen göttliche Ehren zuteilwerden ließen, sehe ich keine leichter entschuldbaren als jene, welche die Winde verehrten: Diese Letzteren sind unsichtbar, wie der große Meister des Universums, & ihre Herkunft ist unbekannt, wie die des Göttlichen auch.
Es überrascht also nicht, dass die Winde von den meisten Völkern als furchterregende & unergründliche Kräfte verehrt wurden, als die wunderbaren Bewerkstelliger der Gewitter & der Heiterkeit des Universums sowie als die Meister der Natur; Ihr kennt gewiss das Wort des Petronius,
Primus in orbe Deos fecit timor
[13] …
Eusebius, der über die Theologie der Phönizier berichtet,
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