Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
Vom Netzwerk:
heitere Laune meines Meisters trüben, allenfalls die immer stärker beunruhigenden Gerüchte aus dem Palazzo Farnese: Ohne sich um die römischen Empfindlichkeiten zu bekümmern, führte Kristina von Schweden dort ein schwungvolles Leben, das zu Gerede Anlass gab. Als einzige Frau unter den rund einhundert Männern, aus denen ihr Gefolge bestand, gab sie sich rückhaltlos allerlei Launen hin. Auf ihren Befehl hatte man die Feigenblätter, welche die Blöße der Statuen des Palazzo bedeckten, entfernt und die vom Papst leihweise überlassenen Gemälde – sämtlich mit frommen oder lehrreichen Gegenständen – durch mythologische Szenen ersetzt, die eines Freudenhauses würdiger waren denn der Wohnstatt einer Konvertitin. Zum großen Leidwesen des Majordomus Giandemaria, plünderten ihre Höflinge den Palast, der doch dem Herzog von Parma gehörte; sie rissen sogar die Posamenten und kostbaren Brokatvorhänge herunter, um sie den Bürgern der Stadt zu verkaufen. Kardinal Colonna musste unterdessen in sein Landhaus verbannt werden, derart hatte ihm die junge Kristina den Kopf verdreht, und eine Nonne, die Kristina so gefiel, dass sie sie dem Dienst am Herrn entfremden wollte, wurde in ein anderes Kloster verlegt.
    Zu der Zeit erlitt mein Meister einmal eine Magenverstimmung; wie er meinte, infolge des Genusses von zu viel Obst während der Fastenzeit. Diese Unpässlichkeit kam äußerst ungelegen, da Kristina von Schweden uns sowie einige weitere Kirchenmänner zu einem Konzert als Zeichen der Buße eingeladen hatte. Kircher hatte seit dem Morgen alle bekannten Mittel erprobt, ohne dass ihm Linderung zuteilgeworden wäre. Gott sei Dank entsann er sich, als er die Einladung bereits absagen wollte, einer Phiole, die er unlängst von Vater Yves d’Évreux, Missionar in Brasilien, erhalten hatte. Diese Phiole, so schrieb der brave Pater in seinem Briefe, enthalte ein Pulver, welches verlässlich gegen jedwede Beschwernis helfe, außerdem stelle es die vom Studium erschöpfte Geisteskraft wieder her, & er habe die wohltätige Wirkung häufig sowohl an den Tupinambu-Indios wie an sich selbst erleben können. Soweit er es beobachtet habe, werde dieses Mittel aus einer von den Eingeborenen »Guaraná« genannten Liane gewonnen und sodann mit Roggenmehl vermischt, welch Letzteres jedoch nur dazu diene, dass besser Kügelchen daraus zu drehen seien, welche sich dann leichter schlucken ließen.
    In seiner Not zögerte Kircher keinen Augenblick; die Instruktionen des Paters d’Évreux strikt befolgend, nahm er vier, fünf dieser Kügelchen zu sich, nachdem ich sie mit ein wenig Weihwasser besprenkelt hatte. Und da, wo die moderne Arzneimittelkunst versagt hatte, wirkte diese Medizin der Wilden ein wahres Wunder: Keine Stunde war seit der Einnahme vergangen, da begann mein Meister sich besser zu fühlen. Schmerzen und Leibesergüsse wichen, seine Gesichtsfarbe kehrte zurück, ja, er ertappte sich dabei, wie er ein fröhliches Liedchen pfiff. Ihm war, als habe er nicht nur seine Gesundheit zurückerlangt, sondern auch Energie & Geisteskraft seiner jungen Jahre. Diese Verwandlung war in der Tat höchst verblüffend, & wir dankten jenen Indios, die ihm von ferne eine solche wundersame Heilung hatten zuteilwerden lassen.
    Bis zu unserer Ankunft im Palazzo Farnese scherzte Kircher fortwährend. Seine gute Laune war so ansteckend, dass wir alle mehrfach von Lachanfällen ergriffen wurden, & dies anlässlich von Themen, die es eigentlich gar nicht verdient hätten …
    Michelangelo Rossi, Laelius Chorista und Salvatore Mazelli, die drei Musiker, die an jenem Abend bei Königin Kristina Frescobaldi spielten, waren wie stets tadellos, doch hatte ihre Darbietung auf meinen Meister eine ungewöhnliche Wirkung. Kaum hatten sie begonnen, so sah ich, dass er die Augen schloss und in eine Träumerei versank, die das gesamte Konzert über andauerte. Bisweilen entschlüpften ihm leise Freudenlaute, welche mir anzeigten, dass er nicht schlief, sondern sich in einem Zustand der Verzückung befand …
    Als Athanasius mich – lange nachdem der letzte Ton verklungen war – ansah, vermeinte ich, er sei erneut erkrankt, so seltsam starr waren seine tränennassen Augen. Sein Blick durchquerte mich, er schien mich nicht zu sehen … Die wenigen Sätze, die er herausbrachte, zeigten mir, dass er sich in einem Zustand vollkommener Wollust befand, doch schienen die Worte ihm nur höchst widerwillig über die Lippen zu kommen, was mich mit

Weitere Kostenlose Bücher