Wo Tiger zu Hause sind
das sich uns nun bot, übertraf an Widerwärtigkeit unsere schrecklichsten Phantasien. Ekel sprach mehr als Enttäuschung aus den Lauten, die sich unseren Hälsen entrangen. Etliche mussten den Blick abwenden & Gott zu Hilfe rufen, & ein Novize wäre, jäh erblasst, beinahe in das offene Grab gerutscht. Unter einem Gewimmel von Würmern & schwarz von Gangrän lag dort Pater Le Pen und schien kurz davor zu platzen, derart war sein Leib von Gasen & Verwesungssäften angeschwollen. Dieser aufgetriebene Wanst hatte den Mechanismus ausgelöst … Gleiche Ursachen, gleiche Wirkung, so auch bei den anderen Gräbern – bald war der Friedhof von lauter Jammern und Wehklagen erfüllt.
Als die allgemeine Beklommenheit abgeklungen war, begruben wir die vier Verstorbenen unter mancherlei Gebeten wieder, mit denen wir Vergebung für die gestörte Totenruhe erflehten, dann begaben wir uns zurück auf unsere Zimmer, doch nur wenige von uns fanden in dieser Nacht noch Schlaf.
Diese hervorragenden Maschinen kamen in der Mechanik-Abteilung unseres Museums unter, benutzt aber wurden sie nie wieder. Nicht einmal nach der Pest. Als die Verwesung des Fleisches nur noch in natürlichen Maßen vonstattenging, kamen sie niemandem in den Sinn, sei es aus Aberglauben, sei es aus Misstrauen; zu viel Entsetzen hatte der erste Versuch gesät.
Ende November endlich beschloss der
Draco pestis
, diese unersättliche Hydra, von ihrer Beute abzulassen, nachdem sie so zahllose Leben vernichtet hatte. Von einem Tage auf den anderen wurde in den Straßen Roms nicht mehr an der Pest gestorben. Ob sie nun von den Juden bewirkt worden, um sich an den Christen zu rächen – was Kardinal Gastaldi vollkommen grundlos behauptete, denn auch achthundert der ihren waren im Ghetto gestorben –, oder von Gott höchstselbst zur Buße für unsere Sünden, so war es doch auch möglich, dass die Geißel vollkommen sinnlos war: Gott braucht seine Werke nicht zu begründen, ob er uns nun züchtigt oder uns verschont.
Fünfzehntausend Römer also waren in vier Monaten gestorben; doch so monströs diese Zahl auch anmuten mag, sie verschwindet neben denen, die in Palermo, Mailand und später in der großen Stadt London zu beklagen waren. Kurz und gut, die Römer schätzten sich recht glücklich, die Prüfung mit so geringen Verlusten überstanden zu haben.
1658 erschien das
Scrutinium Pestis
. Auf zweihundert Seiten untersuchte mein Meister die Geschichte der Epidemie, ihre möglichen Ursachen, die verschiedenen Formen & Symptome, ohne ein einziges der Mittel zu verschweigen, welche gegen sie versucht worden. »Doch«, so schloss er, »das beste Remedium gegen die Pest bleibt, sehr schnell & sehr weit zu fliehen & sich so lange als möglich von den Ansteckungsquellen fernzuhalten; wer das aber nicht zu tun vermag, der möge in ein großes, gut belüftetes Haus auf einem Hügel ziehen, fern allen Gossen und stehenden Gewässern; er öffne die Fenster, um die Luft zu reinigen, & fülle die Wohnstatt mit duftenden Kräutern; er verbrenne Schwefel & Myrrhen & verwende reichlich Essig, um den Körper auch von innen zu reinigen …« Kostbarer Rat, der in der Folge noch vielen das Leben retten sollte.
Fortaleza
Es war das reinste Lourdes oder Benares.
Roetgen nahm den Unterricht mit dem etwas heiklen Gefühl wieder auf, haarscharf allen möglichen Komplikationen entronnen zu sein. Indem er die mit seinem Status als Dozent einhergehenden stillschweigenden Grenzen überschritten hatte, riskierte er ziemlich schwerwiegende berufliche Konsequenzen.
Trotz seiner gekränkten Eigenliebe und des Bildes von Moéma, das ihn verfolgte, staunte er, dass er eigentlich recht glimpflich davongekommen war.
Ganz schön verrückt
, dachte er,
den Avancen dieser Frau nachzugeben. Ich bin wirklich ein Idiot! Wenn sie auch nur die Hälfte von dem weitererzählt, was an diesem Strand passiert ist, kann ich einpacken, und zwar buchstäblich.
Obgleich er sich des Vorgefallenen nicht schämte – man musste die Menschen und Dinge nehmen, wie sie kamen, ohne die Verwirrung der Sinne, wenn sie der Ethnologie zugutekam, zu fürchten –, sah er vor sich, wie er alles unumwunden leugnete und erbost darauf bestand, niemand dürfe seine Integrität aufgrund übler Nachrede von Studenten anzweifeln, das sei allzu bequem … Dennoch konnten die diversen Verteidigungsszenarien ihn nicht recht beruhigen, so dass er sich auf die Erinnerung an seine Ausfahrt mit der Jangada
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