Wo Tiger zu Hause sind
überrascht und geschmeichelt, dass sie ihn in ein »wir« einzubeziehen schien.
»So was kommt vor …«
»Du hast sie auch gern, was? Ich meine, im Ernst, ich lieg doch nicht falsch, oder?«
»Wahnsinnig gern!«, antwortete Roetgen verwirrt.
Manchmal ist der Mund schneller als die Entscheidung, die Wahrheit sagen oder lügen zu wollen. So wusste Roetgen nicht, ob er so dick auftrug, um bedauert zu werden und in der ganzen Geschichte gut dazustehen, oder ob das eine unkontrollierte Antwort war, ja, geradezu ein Geständnis. Es kam ihm allzu exaltiert vor, wie man auch sonst manchmal in einer Beichtsituation eher einen pathetischen Tonfall wählt, als banal und ruhmlos zu leiden.
»Also, ich … ich glaube.« Er versuchte, sich zusammenzureißen. »Sie … was soll ich sagen? Sie fehlt mir.«
»Wusst ich’s doch.« Thaïs hielt ihm den Joint hin. »Geht mir genauso. Wir sitzen ganz schön in der Scheiße,
caro
. Und zwar bis hier. Ich hab sie noch nie so erlebt. Als hätte das Arschloch sie verzaubert …«
Dass Xavier kein Wort von diesem Gespräch verstand, schien ihn nicht weiter zu stören. Müßig und mit glänzenden Augen lag er auf den Kissen, zog an seinem Joint und starrte die Wände des kleinen Zimmers an.
»Es ist total verrückt«, fuhr Roetgen fort, »seit ich wieder in Fortaleza bin, muss ich ständig an sie denken. An dich übrigens auch. Ist doch Wahnsinn, was wir da unten erlebt haben …«
Wider alle Erwartung fand er Thaïs jetzt viel begehrenswerter als in Canoa. Ein Strahlen in ihren Augen – und vielleicht auch die Tatsache, dass sie ihren Kimono nicht richtig schloss, der ihre üppige Brust etwas mehr zur Schau stellte, als züchtig war – verriet ihm, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte.
So weit waren sie in ihren Neckereien gediehen, als der Türvorhang sich teilte: Moéma. Mit verquollenen Augen, die Tränen niederkämpfend, blickte sie ihre Freundin flehend an. Ohne die beiden jungen Männer weiter zu beachten, stand Thaïs sofort auf und zog die Reumütige ins Schlafzimmer.
»Hübsche Mädchen hier in der Gegend«, meinte Xavier, sobald Thaïs die Tür hinter sich zugemacht hatte. Und mit einem Augenzwinkern: »Du hast schon lange nichts lecker Französisches mehr vernascht, was? Ich hab aber auch Whisky hier, wenn du den lieber magst, Johnny Walker, Black Label. Das ist nicht die Welt, aber immerhin, und auf den Kapverden hatten sie nichts anderes.«
Nur unter Qualen konnte Moéma berichten, was ihre überstürzte Abreise aus Canoa Quebrada verursacht hatte. Eine Szene kam ihr immer wieder in den Sinn und verursachte unerträgliche Torturen: Aynoré, wie er mit Josefa schläft, dem Mädchen aus dem Strandbuggy … Sie war zufällig in sie hineingelaufen, nach dem Mittagsschlaf, sie hatten sich auch nicht einmal versteckt, trieben es einfach hinter der nächsten Düne … Diese kleine Hure ritt auf ihm und hatte ihn bei den Schultern gepackt!
»He, was willst du?«, schnauzte Josefa sie an, den Kopf nach hinten gedreht. »Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?«
Moéma brachte kein Wort heraus, konnte nur Aynoré bettelnd anstarren. Wenn er jetzt zu ihr gekommen wäre, hätte sie ihm sogar verzeihen können, so leidenschaftlich liebte sie ihn. Aber er hatte sie nur gespielt lässig angesehen:
»Komm, sei mal bisschen cool, Kleine. Und jetzt lass mich in Ruhe fertigmachen, ja?«
Ihr war, als würde sich ganz Amazonien vor ihren Augen verflüchtigen. Immer noch reglos und blöde dastehend, beweinte sie ihren zertrümmerten Traum. Kurz bevor sie ging, ließ sie sich doch noch von ihrer Wut hinreißen, was sie seither bereute:
»Fuck you, du Schlampe!«
Und die Antwort hatte sie eingeholt, während sie zum Strand hinunterrannte:
»Na mach ich doch grad, du Lesbe, und zwar mit viel Spaß!«
Dann nur noch Gelächter. Ein zweistimmiges Gelächter, das ihr immer noch nachging.
Auf dem Strand traf sie Marlene, der dafür sorgte, dass sie sich erst einmal hinsetzte. Mit Streicheln und guten Worten entlockte er ihr die Geschichte ihres Unglücks.
»Ich hab doch gesagt, pass auf, worauf du dich einlässt … Der ist ein Fuchs, ein gefährlicher Typ. Ich wette, er ist dir auch mit der Schamanen-Nummer gekommen?«
Sie blickte ihn fragend an, dabei wusste sie schon, was sie zu hören bekommen würde:
»Das ist seine Masche, um die Frauen rumzukriegen. Hat er alles aus einem Buch, das er mal gelesen hat: Indio-Legenden, Schamanenrituale, die Sintflut …
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