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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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alles drin. Nichts als schöne Worte. Er ist ja kaum mal Indio, und Schamane schon gar nicht, nicht mehr als ich und du … Seine Mutter war Animiermädchen in einer Bar in Manaus, und sein Vater – sie wusste ja selber nicht, welcher von den Suffköppen das war, mit denen sie schlief.«
    »Das ist nicht wahr!«, schluchzte Moéma immer lauter. »Du lügst!«
    »Wenn dir das die Sache leichter macht. Aber es ist nichts als die Wahrheit! Du brauchst nur mal in das Buch zu schauen, ich kann’s dir leihen, wenn du willst:
Antes o mundo não existia
; der Autor – frag mich nicht nach dem Namen, du brichst dir die Zunge – erzählt darin die Mythen seines Stammes. Ansonsten hat Aynoré mit den Indios nichts zu schaffen, hat er mir selbst gesagt. Sein Look dient ihm nur dazu, auf der Strandpromenade den Touris seinen Krempel anzudrehen. Er ist ein mieser Betrüger, Moéma, ein kleiner Scheißdealer. Der hat es nicht verdient, dass eine wie du ihm auch nur eine Träne nachweint.«
     
    Moéma konnte erst aufhören zu weinen, als sie von Thaïs Absolution erhalten und ihre Befürchtungen sich im Gespräch mit Roetgen bestätigt hatten. Das von Marlene erwähnte Buch – das erste eines brasilianischen Indios – war vor rund zwanzig Jahren erschienen; Roetgen erinnerte sich genau daran, denn er hatte es für einen Vortrag studiert: Alles, was Aynoré ihr aufgetischt hatte, fand sich darin, die Entstehung der Welt, der erste Weltenbrand, bis hin zu manchen Details über den Schamanismus.
    Moéma war erst enttäuscht, dann immer wütender, und schließlich erwähnte sie Aynoré – sogar, wenn es stumm in Gedanken geschah – nur noch zusammen mit immer neuen Schimpfworten:
dieser Pseudo-Indio
, sagte sie angewidert, oder
dieser falsche Fuffziger, wenn ich nur daran denke, was für Märchen der mir aufgetischt hat … Mistkerl!
So wurde ihr alles ein wenig leichter, jedenfalls vorerst.
    Nach einigen Stunden, die es dauerte, Moémas Enttäuschung abklingen zu lassen, machte Roetgen einen Vorschlag, der die letzten Kümmernisse vom Tisch fegte. Ab dem Wochenende standen zehn Ferientage bevor: Was hielten sie davon, alle miteinander an der jährlichen Wallfahrt von Juazeiro teilzunehmen? Für Moéma und ihn wäre das eine Gelegenheit, aus nächster Nähe den Fortbestand prächristlicher Kulte in der Verehrung der Nordestiner für Padre Cícero zu studieren, den anderen – Xavier würde natürlich mitkommen – bot es einen herrlichen Ausflug in den Sertão. Er würde einen Wagen mieten, sie würden im Freien schlafen und einfach drauflosimprovisieren.
    Die anderen waren begeistert. Drei Tage später grölten sie, alle vier mit Sonnenbrille, einen Refrain der Rolling Stones aus den Fenstern des Chevrolets, den Andreas ihnen geliehen hatte, und ließen auf diese Weise die ganze Welt daran teilhaben:
We can’t get no satisfaction
.
    Es waren verrückte Tage, abgedrehte Tage, denen der Alkohol eine Art perversen Nimbus verlieh. Auch die Drogen, die sie regelmäßig nahmen, entrückten sie der realen Welt, hielten sie am Rand dessen, was sie erlebten. Roetgen, kaum älter als die anderen – die sieben Jahre, die ihn von Moéma, der Jüngsten des Quartetts, trennten, wogen schwerer, als er sich eingestand –, fungierte als Anführer, fuhr als Einziger, hatte als Einziger Geld und bewahrte wenn auch keinen kühlen Kopf, so doch einen Rest von Verantwortungsbewusstsein. Ja, er zog sich auch zwei, drei Linien Koks rein, er rauchte den einen oder anderen Joint, aber vor allem, um sich nicht auszugrenzen und weil seine Verachtung für Drogen ihn sicher machte, dass dies nur eine tropische Verirrung war, eine Erfahrung in seinem Leben, aus der er ungeschoren davonkommen würde. Zum Ausgleich trank er sehr viel und verdankte es nur seinem Schutzengel, dass er bei den langen Strecken im Wagen keinen einzigen Unfall baute. Der »Liebe« zu Moéma, die er zu seiner eigenen Überraschung Thaïs gestanden hatte, blieb er sozusagen treu, eine unbegreifliche Leidenschaft, die er nicht analysierte, dank deren er jedoch regelmäßig zu leiden hatte, etwa wenn sie allein mit Thaïs schlief. Eine Demütigung, die er zu vergessen versuchte, indem er mit Xavier scherzte.
    Die Episode mit Aynoré ging Moéma mehr nach, als ihre augenscheinliche Sorglosigkeit vermuten ließ. Sie meinte es ehrlich, wenn sie Thaïs versicherte, nichts könne sie mehr trennen, oder zu Roetgen sagte, sie wolle ihn nicht verlieren, so glücklich sei sie in

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