Wo Tiger zu Hause sind
verschlingt, & er wird Euch stets antworten, die armen Tiere hätten ihr Schicksal angesichts ihrer zahlreichen Sünden verdient & es sei noch zu viel des Guten, sich derart für sie zu interessieren. Daher würde ich mich hüten, den Reden Eures Händlers Glauben zu schenken. Dass die Javanesen Götzendiener sind & es nicht leicht ist, sie zum wahren Glauben zu bekehren, das will ich gern annehmen; dass sie jedoch Dämonen wären, auf ewig unerreichbar für die göttliche Vernunft & Gnade, das hinzunehmen vermag ich nicht. Ihr genauso wenig, Hochwürden, da bin ich gewiss …«
Pater Roth gab ihm recht, wenn auch widerwillig, & erbat dann Erlaubnis, sich zurückzuziehen, unter Hinweis auf sein hohes Alter & die Strapazen der Reise. Bernini verbarg seine Genugtuung, diesen Miesepeter loszuwerden, keineswegs, und musste sich von meinem Meister freundschaftlich mahnen lassen.
»Was sagtet Ihr gerade, Pater Grueber?«
»Nun, mein Schiff lag also im Hafen von Batavia fest, & ich hörte Wundersames über eine uralte Stadt, die vom Dschungel verschlungen worden sei, einige Tagesritte mit dem Maultier von einem Ort namens Yogyakarta entfernt. Ich brach dorthin auf, getrieben von Neugier, doch auch von meiner Zusage, Euch, Hochwürden, von allem Außergewöhnlichen zu berichten. Mühen und Unannehmlichkeiten dieser Reise will ich unerwähnt lassen – man hatte mir im Vorwege gesagt, sie sei so beschwerlich wie gefährlich – und gleich zur Hauptsache kommen: Borobudur, die »verlorene Stadt« … Beim ersten Anblick, als meine Führer nach einer letzten Biegung mit bebendem Finger darauf deutenden, sah es für mich aus wie ein kleiner schwarzer Berg, der einem Vulkan gleich aus dem Meer der üppigen Vegetation ragt. Aus der Nähe jedoch sah ich, dass kein Zoll dieses steinernen Hügels vom Eisen der Bildhauer unbearbeitet war; & ich meine nicht zu übertreiben, wenn ich sage, dass jede Grundseite dieser Pyramide einhundertzwanzig Schritt maß und sie vierzig Schritt hoch war!«
Kirchers Gesicht hellte sich jäh auf …
»Diese Pyramide, wie Ihr sie nennt«, fragte er erregt, »meint Ihr, sie würde jenen ähneln, die man in Ägypten sehen kann?«
»Nicht sehr. Ihre Form lässt eher an die Bauwerke der Ureinwohner Mexikos denken, so wie unsere Missionare sie auf Zeichnungen wiedergeben. Stellt Euch vier Ebenen auf rechteckiger Grundfläche vor, darauf drei kreisförmige Terrassen, jede Etage ein wenig kleiner als die vorige.«
»Seht mir meine Ungeduld nach«, ergriff Bernini wieder das Wort, »doch habt Ihr mir immer noch nicht jene Skulpturen beschrieben, deren Schönheit Ihr so rühmtet.«
»Ihr habt recht, verzeiht … Entlang der Seitenwände dieser Galerien oder Wachgänge, die von unten nach oben führen, habe ich gut eintausendfünfhundert Flachreliefs zählen können, die, aneinandergefügt, gewiss fünf Meilen Länge hätten! Soweit ich verstand, stellen sie das Leben des Pusa oder Fo genannten Idols dar, wie es in den chinesischen und indischen Legenden geschildert wird, doch würdet Ihr, Signor Bernini, beschwören, dass sie von den talentiertesten Griechen geschaffen worden, so vollkommen sind die Kompositionen & so raffiniert die Ornamente. Mehr als fünfundzwanzigtausend Figuren sind dort zu sehen, im Viertel- oder Halbrelief, so lebensnah vor Euren Augen, dass es auf der Welt nichts Schöneres zu bewundern gibt. Männer wie Frauen, durchweg graziös, schreiten, tanzen, reiten oder beten in den edelsten & zartesten Posituren. Musiker spielen Flöte oder Trommel, ganze Mannschaften sind auf ihren stolzen Schiffen tätig, großartige Krieger ruhen, den Säbel an der Schulter, inmitten einer Vegetation, in der man leicht alle Bäume, alle Früchte, Blumen & Pflanzen dieser Gegend wiedererkennt, eben die, welche sich der Steine bemächtigt haben & sich nun untrennbar um ihre Ebenbilder ranken. Elefanten, Pferde, Schlangen, Vögel & Fische aller Arten lassen sich in den für ihre Art je typischen Stellungen erkennen, & um es in einem Worte zu sagen, ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als auf ewig der einfache Hüter dieser Herrlichkeit zu sein …«
Grueber schien schweigend weiter in seine Erinnerung vertieft zu sein, in die Betrachtung von Borobudur und der Schönheiten, die er uns geschildert.
»Ach, dass Ihr keine Zeichnungen von diesen Wunderwerken angefertigt habt …«, seufzte Bernini. »Euer Bericht hat meinen Appetit geweckt, & ich würde viel darum geben, mit
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