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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Chinesen, den alten Römern ähnlich, ausgezeichnete Erbauer von Mauern, Straßen & Brücken, doch ihre wenn auch oft kolossalen Statuen erreichten niemals die Feinheit & Schönheit der unseren. Es seien lediglich grobschlächtige Götzenbilder oder Monster & Dämonen, deren betrübliche Fratzenhaftigkeit & bisweilen gar Obszönität so wenig kunstreich seien, dass man sie eher als Teufels- denn als Menschenwerk betrachten müsse.
    »Ich kann mich dem Gesagten anschließen«, meinte Grueber, »obwohl ich in China Statuen gesehen habe, welche die Ablehnung, wie Pater Roth sie vorbringt, nicht verdienen, denn oft sind sie von einer Noblesse & Heiterkeit, die, so scheint mir, an die schönsten Hervorbringungen unserer Künste heranreichen. Dennoch habe ich das göttlichste Steinmetzwerk nicht in China gesehen, sondern auf den Sunda-Inseln. Und ich bin überzeugt, Signor Bernini, auch Ihr würdet es als Meisterwerk anerkennen.«
    »Na, da erweckt Ihr gehörig meinen Appetit! Und es wäre mir ein großes Vergnügen, wenn Ihr sie beschreiben wolltet …«
    »Sehr gern. Doch gestattet zunächst, dass ich berichte, wie ich dorthin gelangte. Auf meiner Reise nach China schiffte ich mich in Tonkin mit Bestimmung nach Macao ein, doch ein Sturm brachte uns von unserer Route ab, & wir mussten in Batavia oder Jakarta, der Hauptstadt der Insel Java, Zwischenhalt machen …«
    Angesichts von Berninis ratlosem Gesicht kam Kircher ihm zu Hilfe & schob einen großen Globus heran, auf dem Grueber die Orte weisen konnte, die er während seines Berichtes nannte.
    »In der indischen See gibt es so viele Inseln, dass keine genaue Angabe ihrer Zahl möglich ist. Sumatra hier ist die größte, Borneo die zweite, Java die dritte. Sie wurde auch ›die Welt im Kleinen‹ genannt, wegen ihrer ungeheuren Fruchtbarkeit, mit der sie alles nur Mögliche hervorbringt & wachsen lässt. Nicht nur kommen uns von dort Pfeffer, Ingwer, Zimt, Nelken & anderes duftendes Gewürz, sondern sie ernährt auch aller Arten Wild- und Haustiere, welche in viele Länder gebracht werden. Auch findet man hier reiche Vorkommen an Gold & unermesslich kostbaren Edelsteinen. Seidenstoffe gibt es auf Java in großer Menge … Kurz, sie könnte als eine der reichsten & freundlichsten Inseln des Orients gelten, würde sie nicht so oft von Stürmen erschüttert, deren bloße Erwartung allerorten Verzweiflung & Entsetzen verbreitet. Die Bewohner dieser Insel sagen, sie stammten von jenen Chinesen ab, welche wegen fortwährender Piratenangriffe ihre Heimat verließen & hierherzogen, um Kolonien zu gründen. Dies Volk ist von mittlerer Statur & rundem Gesicht; die meisten laufen vollkommen nackt herum oder haben nur eine Stück Tuch vom Gürtel hängen, das ihnen bis auf die Knie reicht. Für mich sind sie die gebildetsten & zivilisiertesten der indischen Völker …«
    »Das reinste Paradies auf Erden!«, rief Bernini aus. »Ach, dass ich nicht jünger & begüterter bin, so könnte ich selbst dorthin reisen.«
    »Ein Paradies, mag schon sein«, grummelte Pater Roth, »aber ein von Dämonen bevölkertes! Denn ich sage, das sind alles gefräßige Parasiten; sie sind aufdringlich & schamlos, überheblich & lügen unverdrossen, um sich die Güter anderer anzueignen … diese Inder haben vorwitzige Mienen, lose Zungen, krumme Finger & in Diebstahl geübte Hände. Sie schmeicheln, versprechen, schwören, rufen Himmel, Erde & Mohammed zu Zeugen, bis man ihre Worte für das reine Orakel halten mag; doch sprecht Ihr sie eine Stunde darauf wieder, leugnen sie mit glatter Stirn alles, was sie zuvor gesagt haben! Die menschliche Zunge, sagen sie, ist nicht aus Knochen gemacht, womit sie meinen, dass man sie nach Lust & Laune verbiegen kann, ob man geschworen hat oder nicht …«
    Diese unvermittelte Tirade verblüffte Grueber & Bernini; eine betretene Stimmung machte sich breit, & ich sah, wie der jüngere Jesuit sich auf die Lippen biss, um dem Älteren nichts zu entgegnen.
    »Ich hatte gar nicht gewusst«, meinte mein Meister scheinbar gelassen, »dass auch Ihr diese Insel besucht habt.«
    »Nun, um die Wahrheit zu sagen« – Pater Roth schien ein wenig verlegen –, »war ich zwar nie dort, weiß aber, was ich vorbringe, von einem holländischen Händler, der mehr als zwanzig Jahre in Batavia gelebt und mir die Javanesen ausgiebig beschrieben hat.«
    Kircher blickte Pater Roth streng an.
    »Fragt den Wolf, was er von den Lämmern hält, die er

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