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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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traf, & schwerer als der erste: Als ich frühmorgens am 12 . März sein Feuer entzünden wollte, traf ich ihn an, wie er im Bette saß & – man verzeihe mir, doch ich habe versprochen, alles zu sagen – damit beschäftigt war, aus seinen Exkrementen kleine Kugeln zu drehen …
    »Nichts verkommen lassen, Caspar …«, sagte er mit mildem Lächeln. »Wenn trocken, dann statt Holz in Kamin! Große Ersparnis, wohltätige Zwecke …«
    Ich wollte ihm sogleich gut zureden, doch was ich auch versuchte, ich musste mich geschlagen geben und feststellen, dass mein Meister gänzlich taub geworden war.
    Ich war am Boden zerstört … Pater Ramón, den ich umgehend kommen ließ, verhehlte durchaus nicht seine Bestürzung angesichts eines solchen Schauspiels. An jenem & den folgenden Tagen versuchte er sämtliche Finessen seiner Kunst, um Kirchers Zustand zu verbessern, doch ach, ohne Erfolg. Im Gegenteil, mein Meister war konsequent in seiner Grille & verweigerte sich bald jeglicher Körperpflege, & all meine Versuche, ihn zu waschen oder ihm auch nur ein präsentables Äußeres herzustellen, lösten derartige Wutanfälle aus, dass ich von weiteren diesbezüglichen Versuchen absah. Allmorgendlich nach der Benutzung seiner Schüttelmaschine urinierte er in einen großen irdenen Topf, den zu leeren er allerdings ausdrücklich untersagte:
    »Großartige Seife für langes Haar, wie Inkas sie machen in Cuzco!«, vertraute er mir eines Tages an, als ich bei dem Anblick weinte, wie er die Hände in diese Kloake tauchte, um ihre Konsistenz zu überprüfen …
    Binnen weniger Wochen wimmelte sein Leib von Ungeziefer, doch Kircher nutzte diesen Umstand für einen erneuten Einfall: Er hatte sich tatsächlich in den Kopf gesetzt, diese Tierchen seien nichts anderes als die sündigen Atome, die seinen Körper verließen wie Ratten ein untergehendes Schiff. Nach dem Beispiele der Uros-Indianer zählte er sorgsam die Flöhe & andere Insekten, welche er von seinem Leibe sammelte, um sie in Bambusrohre zu füllen, welche ich hernach mit heißem Wachs zu versiegeln hatte, damit diese »schädlichen Monaden« nicht auf andere Menschen übersprängen.
    Der Himmel, gewiss von Erbarmen ob seiner Schmerzen geleitet, ließ es zu, dass er sich eines Tages, da wir in San Giovanni in Laterano die Messe hörten, in jenen Lochstuhl erleichterte, der sonst zur Überprüfung des Geschlechtes des Papstes dient!
    Die Liste seiner Merkwürdigkeiten wäre lang, doch will ich nicht durch ein paar wenige Zeilen das Bild eines Menschen trüben, der zeitlebens durch sein Wissen & sein Handeln den Ruhm gerechtfertigt hat, welchen er genoss. Eine einzige Phantasie will ich dennoch schildern, sie kann ich nicht verschweigen, wegen des Verdachts, den sie in meinem Geiste erregte. Eines Nachmittags, da ich mich länger als sonst im Refektorium versäumt hatte, traf ich meinen Meister in einer Verfassung an, die mich beinahe rückwärtig wieder aus der Tür hätte fallen lassen: Nackt wie ein Wurm, hatte er sich sämtliche Federn eines ausgestopften Schwans auf den Leib geklebt, der nun gerupft & zerpflückt neben ihm lag. Auf dem Boden kniend, betrachtete Kircher eine spiralige Figur, welche er mit einem Strick ausgelegt hatte; & aus Angst, durch allzu abstrakte Schilderungen die Aufmerksamkeit zu verlieren, gebe ich hier eine Zeichnung jenes Labyrinthes wieder. Die kleinen Kreise versinnbildlichen Orangenhälften, die mein Meister hier und da angeordnet hatte …

    Auf dem Pfad, den der Strick bildete, schleifte der gefangene Floh behutsam seine Kette hinter sich her …
    Das alles hatte ich natürlich in einem Augenblicke überschaut, doch muss ich gestehen, dass ich es nicht im Geringsten beachtete, so fasziniert war ich von Kirchers lächerlicher Verkleidung. Als ich näher hinzutrat, hörte ich, wie er leise mit dem Tierchen sprach:
    »Denn so geht das ganze Universum von einem einzigen Lichtpunkte aus, um eines Tages dorthin zurückzukehren, gemäß den Windungen dieser wundersamen Spirale …«
    Mein Meister redete klar! Fast hätte ich mich über ihn geworfen und ihm umarmt.
    »So ist die Seele der Welt gemacht, mein Freund …«, fuhr er fort, an sich selbst gerichtet. »Darum habe ich mein sonntägliches Engelsgewand angelegt, um diese Rückkehr vorzubereiten, wie sich’s gebühret. Denn die Erde ist dort unten den Ursprüngen näher … Und ich geleite dich, meine Seele, über diese verschlungenen Pfade zum einzigen geschützten Ort,

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