Wo Tiger zu Hause sind
exakte Gewicht seiner Seele abzulesen. Er bezweifelte keinen Augenblick lang, dass die Maschine irgendeine Abweichung anzeigen würde.
Der Januar war noch nicht vorüber, da kehrten seine Kopfschmerzen wieder, stärker denn je. Mein Meister legte kaum mehr die Opiumpfeife aus der Hand, das einzige Mittel gegen seine Qualen; sein Geist war umwölkt von den Träumen, die dieser Rauch hervorrief, & zwar betrübte ich mich des Öfteren ob seines abwesenden Blicks & seiner Gleichgültigkeit mir wie auch meinen eilfertigen Diensten gegenüber, doch wenigstens wusste ich, dass er nicht litt.
Am 18 . Februar brachte einer unserer jüngsten Novizen von einem Spaziergange in Rom etwas Niedliches mit, das er für nur ein Pfund bei einem Kaufmanne aus Augsburg erworben, welcher aus dem Hang der Leute zu Kuriositäten klüglich Gewinn zu schlagen verstand. Es handelte sich hierbei um einen Floh, der eine stählerne Kette um den Hals trug. Als man ihm das Tierchen vorführte, war Kircher derart begeistert & legte einen so starken Wunsch an den Tag, ein selbiges zu besitzen, dass unser Novize es ihm aus gutem Herzen schenkte. Von nun an wollte sich mein Meister von dem kleinen Gefährten nicht mehr trennen. Stundenlang beobachtete er ihn durch die Lupe, fasziniert von der Vollkommenheit des Insekts selbst wie auch von der Geschicklichkeit dessen, der ihn solchermaßen hatte anketten können. Die übrige Zeit hielt er den Floh unter seinem Hemd, nicht ohne die Kette zuvor in ein Knopfloch gehakt zu haben. Zur Ernährung führte er das Tier, wie er sagte, »auf die reichsten Weiden seines Leibes«, nämlich die offenen Wunden, welche der Bußgürtel bei jenen schlug, die ihn mit Strenge gegen sich selbst trugen.
»Komm, mein Freund«, sagte er zärtlich, »komm & nähre dich an diesem besonderen Saft. Hier hast du genug, um Tausende deinesgleichen zu sättigen, nutze es ohne Scham noch Gewissensbisse, denn wisse, jeder deiner Stiche bringt mich dem Paradiese näher …«
Eines Tages, als er in Gegenwart von Pater Ampringer solchermaßen redete, konnte dieser eine Regung des Bedenkens ob solcher Praxis nicht ganz unterdrücken. Mein Meister bemerkte dies, ein Pech für den armen Pater, der im Übrigen ein wackerer Mann war & sich später Vorwürfe machte, Kircher in seinen bewunderungswürdigen Anstrengungen widersprochen zu haben, die Heiligkeit zu erlangen.
»Lasst mich euch vom Mönche Lanzu erzählen«, begann mein Meister, noch recht ruhig, »welche mir von einem des Vertrauens & des Respektes würdigen Holländer zugetragen. Einer alten chinesischen Legende zufolge wurde dieser Lanzu vor achthundert Jahren als Inbild aller Tugenden angesehen; schon früh in seinem Leben floh er den Lärm der Städte & zog sich in die finstersten Zellen an der Mündung des Nanhua zurück. Weder Fleisch noch Getränke hatten für ihn Geschmack, der Schlaf brachte ihm keine Erholung. Derart war sein Entsetzen vor Schamlosigkeit & so groß seine Liebe zur Buße, zur Abtötung des Leibes, zur rauen & unbequemen Kleidung, dass er eine eiserne Kette anfertigen ließ, welche er sich bis zu seinem Tode auf die Schultern lud. Er betrachtete sein Fleisch als den Kerker des unsterblichen Geistes & meinte, ihn zu verzärteln führe zur Erstickung des Besten darin, nämlich der Gotteserkenntnis. Und wenn er sah, wie Würmer aus seinem von der Kette ganz zerschundenen & faulenden Fleische fielen, so sammelte er sie sanft auf & hielt ihnen eine kleine Predigt: ›Meine lieben Würmchen‹, so sagte er zu ihnen, ›warum verlasst ihr mich so feige, wo es doch noch genügend gibt, woran ihr euch laben könntet? Ich flehe euch an, nehmt euren Platz wieder ein, & wenn Treue die Grundlage jeder wahren Freundschaft ist, so bleibet mir treu bis in den Tod & fresst fröhlich, was euch ohnehin seit meiner Geburt zugedacht, euch & euresgleichen!‹«
Durch diese Ansprache erhitzt, erlitt Kircher einen derartigen Butandrang, dass schleunigst der Chirurg geholt werden musste. Dieser, nachdem er ihn an mehreren Gliedmaßen zur Ader gelassen hatte, riet dringlichst dazu, meinem Meister nicht mehr zu widersprechen, wollten wir denn sein Leben nicht gefährden. Diesen Rat nahm ich mir sehr zu Herzen & wachte in der Folge darüber, dass niemand durch Unwissenheit oder aus Versehen dafür sorgte, seine Krankheit zu verschlimmern.
Drei Wochen lang ging es Kircher dann besser, & nichts deutete auf den nächsten Anfall hin, welcher ihn dann jedoch leider
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