Wo Tiger zu Hause sind
beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen, wie um zu vermeiden, dass er es sich anders überlegte.
»Drei Gramm, ist das in Ordnung?«, fragte Moéma unschuldig.
»Kein Problem.« Pablo zwinkerte ihr komplizenhaft zu. »Um vier bei dir, ja?«
»Okay.«
»Gut, dann zieh ich sofort los. Muss ja erst noch in der Bank vorbei und bei mir zu Hause abwiegen.«
»In der Bank?« Thaïs war überrascht.
»Du denkst doch nicht, dass ich den Vorrat bei meinen Eltern zu Hause aufbewahre, nein? Ein eigenes Schließfach in der Bank, und schon gibt’s so gut wie kein Risiko mehr. Selbst wenn ich mit ein, zwei Rationen geschnappt werden sollte, kriegen sie mich niemals wegen Handel dran. Nummer sicher, meine Süße! Das garantiert das Überleben.«
Moéma wartete, bis er gegangen war, dann schnupfte sie das, was Thaïs übriggelassen hatte. Das Pulver hatte sich bei dem Hin und Her über der Leibesmitte des heiligen Sebastian gesammelt, über der sie lange verweilte und nach und nach das Fleisch der Schenkel und die Rundung des Unterleibs bloßlegte, als wollte sie Faser um Faser das Lendentuch wegschniefen, das seine Blöße bedeckte.
Nachdem später am Tage das Geschäftliche mit Pablo bei Moéma abgewickelt war, hatten die beiden Freundinnen die neue Lieferung »getestet« und sich eine Weile hingelegt. Erst gegen neunzehn Uhr waren sie aufgestanden, um zu duschen und abendessen zu gehen: Moéma war in königlicher Laune und lud Thaïs ins
Trapiche
ein, das beste Restaurant der Stadt.
Angestachelt von der Aussicht, die gutbürgerlichen Gäste dieses Lokals zu schockieren, verwendeten sie mehr als eine Stunde aufs Schminken und Zurechtmachen. Thaïs lackierte sich die Fingernägel in einem schwärzlichen Lila-Ton, legte einen grellroten Lippenstift auf und zog ihr Lieblingskleid an: ein weites Gewand aus so gut wie durchsichtigem Musselin, an der Hüfte von einem Gürtel gerafft und von kleinen, metallisch blauen Plastiksternchen übersät. Moéma begnügte sich mit einem maskulinen Anzug, dazu Krawatte und weißes Hemd, drehte aber ihr Haar zu einem sehr straffen Knoten und malte sich mit Kajal einen feinen Schnurrbart à la Errol Flynn auf die Oberlippe.
Noch eine allerletzte Prise Koks »für den Pep«, und sie traten auf die
Beira-mar
hinaus, die Strandpromenade, die schon seit Sonnenuntergang voll junger Leute war; sie drängelten sich auf den Straßenterrassen der Kneipen oder vor den einfachen Getränkeständen, die kilometerweit die Uferstraße säumten, standen in Trauben um ihre geparkten Autos herum, durch deren offene Türen in voller Lautstärke Musik quoll, sie hüpften, tanzten auf der Stelle, lachten, beschimpften sich auch manchmal, das Glas oder eine Flasche in der Hand; es war ein unüberschaubares, buntes Gewimmel. Fliegende Händler boten Kunsthandwerk aller Arten feil, Halsbänder, »handgemachten« Schmuck, Leder- und Spitzenwaren aus dem Nordeste, klaffende Haifischgebisse und stachelige Muschelschalen, frittierte Krabbenküchlein und
Acarajé
, das Ganze von betäubenden Schwaden des Kokosfetts umwabert. Ohne zu zögern, tauchten Thaïs und Moéma in diesen düsteren Trubel ein. Obwohl doch an den Karneval gewöhnt – oder gerade darum –, drehten sich die Passanten mit fröhlichen Gesichtern nach ihnen um, pfiffen bewundernd oder machten ihnen sogar spontane Komplimente. Die beiden jungen Frauen taten vollkommen gleichgültig, wanderten langsam durch die Menge, wahrten sorgsam einen absolut natürlichen Schritt und zwangen sich dazu, hier und da stehen zu bleiben, um eine Auslage zu betrachten und sich zärtlich den Hals zu küssen.
Als sie das Restaurant betraten, immer noch schwebend wie junge Möwen im Aufwind, zögerte der ihnen entgegentretende Maître d’hôtel einen kurzen Moment. Moéma hielt seinem Blick selbstbewusst stand, verlangte nach einem Tisch für zwei und erkundigte sich unverblümt, ob die Langusten denn auch frisch seien. Ihre Entschiedenheit überrumpelte den Maître wohl, denn er ging ihnen zu einem der wenigen noch unbesetzten Tische voraus, inmitten des klimatisierten Dämmerlichts, durch das sich edle Restaurants auszeichnen. Thaïs verstummte angesichts dieses Interieurs, das sie zum ersten Mal in ihrem Leben sah, die unaufhörliche Dienstfertigkeit, die die Kellner um sie herum entfalteten, schüchterte sie ein, erst nach dem zweiten Aperitiv entspannte sie sich ein wenig. Der Rausch des Alkohols verband sich mit dem des Kokains, sie legte die Befangenheit
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