Wo Tiger zu Hause sind
der Provinzlerin ab und konzentrierte sich gemeinsam mit Moéma auf die anderen Restaurantgäste. Gemeinsam vergnügten sie sich damit, hinter dem bürgerlichen Betragen der Leute tausenderlei anstößige Geschichten zu erfinden, sie verspotteten die Gesichter, äfften manieriertes Gehabe nach, phantasievoll, bis sie nicht mehr konnten und Lachanfälle bekamen. Die Kellner waren eher auf ihrer Seite und lächelten ihnen breit zu, wobei sie allerdings darauf achteten, dass der Maître d’hôtel es nicht sah, dessen schwarze Blicke und verkniffene Miene deutlich genug zeigten, wie sehr er es bereute, diese allzu schrillen Frauen eingelassen zu haben.
Einem dickbäuchigen Gast mit Hängebacken reichten die Kommentare, deren Gegenstand er war, und er brach seine Mahlzeit ab; Frau und Kinder hinter sich herschleifend, verließ er zornentbrannt den Tisch. Kichernd sahen Thaïs und Moéma zu, wie er den Maître beiseitenahm und sich unter allerlei Drohgebärden und Speichelgesprühe über ihr Verhalten beschwerte. Der Majordomus hob entschuldigend die Arme, faltete die Hände, reihte kleine Bücklinge aneinander, doch sosehr er sich auch in Entschuldigungen erging, der Dicke goss seinen ganzen Zorn über ihm aus, bevor er abdampfte.
Dann servierte man ihnen gratinierte Langustenschwänze, angerichtet in halbierten Ananas, mit einer üppigen, nach Ingwer und Kardamom duftenden Sauce. Und da Thaïs nicht recht wusste, wie sie mit dem Fischbesteck umgehen sollte, half Moéma ihr aus der Klemme, indem sie schlicht und einfach mit den Fingern aß. Unter den missbilligenden Blicken der Kellner, denen dieser Umgang mit der Spezialität des Hauses nun doch gegen den Strich ging, zogen sie den Affront bis ganz zum Ende durch, befleckten Gläser und Servietten mit ihren fettigen Fingern und mischten den erstklassigen Chablis, den man ihnen dazu empfohlen hatte, mit großen Schlucken Bier. Thaïs hatte es bestellt, nur um sich über die pikierte Miene des Sommeliers zu amüsieren.
Als sie beim Dessert angelangt waren, setzte sich Thaïs, restlos betrunken, in den Kopf, ein Gedicht auf die Tischdecke zu schreiben. Erst stöberte sie lange in ihrer Handtasche herum, dann förderte sie einen dicken Füller zutage und präsentierte ihn ihrer bewundernden Freundin. Da das erste auf den Stoff geschrieben Wort nicht zu sehen war, beschimpfte sie das widerspenstige Ding, schraubte es auf und fummelte so lange an der innenliegenden Pumpe herum, bis sich ein Tintenstrahl über ihre Oberschenkel ergoss. Sie sprang auf und musste feststellen, dass ihr Kleid ruiniert war: Die Farbe wurde vom feinen Musselin aufgesogen und bildete bereits einen großen schwarzen Fleck. Sie brachen beide lauthals in Gelächter aus und bestellten eine Flasche Champagner, um das Missgeschick zu begießen.
»Und eine Schere bitte«, rief Thaïs dem sich entfernenden Kellner nach.
Der fragte noch einmal nach, ob er richtig gehört hatte, und versicherte mit angewiderter Miene, er werde sein Möglichstes tun.
Als er wieder erschien, brachte er das Gewünschte mit. Während er den Champagner entkorkte, kletterte Thaïs auf ihren Stuhl:
»Ans Werk!« Und sie hielt Moéma die Schere hin.
Die stand auf, umrundete ihre Freundin und schnitt dabei das Kleid oberhalb des Tintenflecks ab. Das Ergebnis war ein knapper Minirock. Aus dem Augenwinkel oder gleich unverwandt nach ihnen starrend beobachteten die Gäste, was an ihrem Tisch vorging; Besteckklappern und Geflüster ließen die Stille nur noch drückender erscheinen. Erstarrt in seiner Stellung, die ihm einen hinreißenden Ausblick auf Thaïs’ Slip erlaubte, wohnte der Kellner der Szene bei, reglos, die Hand auf der Öffnung der Flasche, die er vorbereitete. Erst die plötzliche Explosion des Korkens brach den Zauber …
Entzückt von ihrem Auftritt und nachdem sie sich überzeugt hatten, dass das gekürzte Kleid Thaïs noch viel besser stand, setzten sich beide wieder hin und tranken den Champagner bis zum letzten Tropfen aus.
Als es so weit war, kam der Maître d’hôtel mit der befriedigten Miene eines Mannes, der seinem schlimmsten Feind eine scharfe Granate überreicht, und stellte ihnen das Schächtelchen mit der Rechnung hin: Deren Höhe entsprach ihren Extravaganzen, und der Überbringer hoffte mit seiner ganzen Sklavenseele, dass diese beiden verfluchten Lesben nicht imstande sein würden, sie zu bezahlen … Moéma warf einen raschen Blick darauf, zählte die Summe auf ihrem Schoß ab, damit Thaïs
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