Wo Tiger zu Hause sind
nicht sah, wie viel es war, und steckte sie dann, ohne zu zögern, in das Schächtelchen.
»Sie spendieren uns doch sicher eine Zigarre?«, fragte sie hochmütig lächelnd und warf wie nebenbei ein üppiges Trinkgeld auf den Tisch.
Der Maître d’hôtel schluckte seinen Ärger hinunter und orderte das Gewünschte. Aggressive Qualmwolken von ihren Havannas ausstoßend, standen sie auf, durchquerten den Saal wie ein Fürstenpaar, mit einem gnädigen Nicken als Antwort auf die Abschiedsworte der Angestellten, und verließen den Ort des Geschehens.
›Jetzt müssen wir das mit der Bar eben ein bisschen verschieben, was soll’s …‹, dachte Moéma, als sie ihr Vermögen überschlug. Dieser Abend mit Thaïs war das Opfer mehr als wert. Sie hatten die Dunkelheit des
Trapiche
durchquert wie zwei anonyme, zu den Rändern des Universums schießende Kometen: Nur noch die hinter ihnen verstreuten kleinen Sterne aus blauem Metall zeugten von ihrem Vorüberflug.
»Was hältst du von ein paar Tagen in Canoa?«, fragte sie Thaïs unvermittelt. »Die Knete reicht noch für die Fahrt.«
Thaïs war begeistert: »Super! Du bist wirklich genial! Da will ich schon seit einer Ewigkeit wieder mal hin.«
»Wie wär’s mit morgen?«
»Kein Problem, ich bin dabei. Ah, das ist eine Superidee!«
Dann tauchten sie wieder in die bewegte Menge am Meeresufer ein, lachten, weil sie kaum mehr gerade gehen konnten, und gelangten mehr schlecht als recht zur Avenida Tibúrcio Cavalcante. Erst als sie nach ihren Wohnungsschlüsseln suchte, fiel Moéma ihre Verabredung beim Fest des Deutschen Kulturhauses ein. Es war kurz vor dreiundzwanzig Uhr.
»Scheiße, Scheiße und noch mal Scheiße … Das hatte ich völlig vergessen!«
»Ich auch«, prustete Thaïs.
»Ich muss hingehen, ich hab’s Virgilio versprochen.«
»Vergiss es, es ist sowieso zu spät. Und ich kann nicht mehr raus in dem Zustand …«
»Dann warte hier. Ich komm auch gleich zurück.«
»Nein, ich will nicht allein sein …«, schmollte Thaïs.
»Ich bleib auch nicht lang weg, wirklich. Ich hab doch versprochen hinzugehen, Thaïs, ich kann nicht anders.«
Thaïs presste sich an sie und küsste sie lang und innig; auf einem Bein balancierend, rieb sie ihr Geschlecht an Moémas Schenkel.
»Schau, sie weint schon, weil du weggehst«, sagte sie und führte sich die Hand ihrer Freundin zwischen die Beine.
»Keine Sorge, Liebes, ich tröste sie, wenn ich nach Hause komme. Hier ist der Schlüssel, ich komme sofort zurück.«
»Versprochen?«
»Fest versprochen. Ich will doch nicht, dass du mir den ganzen Koks wegsniffst …«
Favela do Pirambu
Das Leben ist eine Hängematte, die vom Schicksal geschaukelt wird.
Blau und rot im Sonnenuntergang schimmernd, tauchte Zés Laster unvermittelt am buckligen Horizont der Dünen auf. Er fuhr in vollem Tempo, von den Hitzeschwaden verzerrt, und erinnerte an einen Ritter in seiner Rüstung, der einen letzten Angriff gegen den Drachen reitet. Seine blitzenden Chromteile funkelten feuriger als die Sonne, und wie der Schild des heiligen Georg verströmten sie eine unsagbare Hoffnung.
Nach einem letzten Wiehern und einigen Hüpfern, die eine Wolke von Sand und Staub aufwirbelten, hielt er mitten in der Favela, unweit von Nelsons Hütte.
Zé Pinto sprang gewandt aus der Fahrerkabine; als er aber mit unsicherem Schritt auf ihn zugegangen kam, ahnte Nelson, dass sein Freund schlechte Nachrichten brachte. Er wusste nicht, was genau, aber die etwas stärker als sonst gebeugten Schultern, eine Nuance Traurigkeit im Lächeln, irgendetwas sagte ihm, der so gewohnt war, aus den Gesichtern der anderen die Verzweiflung zu lesen, dass dieser Tag neue Bekümmernisse bringen würde. Trotz der Bräune des Truckers war Zés Teint grau, die dunklen Ringe unter seinen vor Müdigkeit gläsernen Augen zeigten besser als sein Tachometer an, wie viele Kilometer er in den letzten drei Tagen hinter sich gebracht hatte.
»Na, mein Sohn«, grüßte er ihn bemüht fröhlich. »Wie läuft’s?«
»
Tudo bom
, Gott sei Dank …« Nelson hielt ihm die Hand hin.
Zé klatschte ab, dann hakten sie die Daumen ineinander, die übrigen Finger legten sich um die Hand. Nach einer doppelten Drehung, bei der sie abwechselnd jeder die geschlossene Faust das anderen umgriffen, endete dieses merkwürdige Ritual in einem Knäuel aus ihren vier Händen; mit diesem gordischen Knoten pflegten sie ihre Freundschaft zu besiegeln.
In der Hütte musste Zé sich ducken, um
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