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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Niederlande …«
    »Groß wie die Niederlande?«, fragte Thaïs mit vom Cannabis schwerer Zunge.
    »Ungefähr so groß wie das Ceará.«
    »So groß wie unser Bundesstaat? An eine Bergbaugesellschaft?« Moéma spürte im ganzen Leib eine Welle der Wut.
    »Hab ich heute früh im Radio gehört. Offiziell ist es noch nicht.«
    In der Stille, die auf diese Nachricht folgte, fühlte Moéma sich entsetzlich kraftlos. Ihr war speiübel.
    »Gut«, meinte Pablo, »dann müssen wir jetzt Kräfte für die Schlacht sammeln. Thaïs, kann ich das Ding da mal haben?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er eine kleine, unter Glas gerahmte Darstellung des glückselig an den Pfosten gefesselten, von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian von der Wand.
    »Was soll das werden?«, fragte Thaïs besorgt.
    Sie war zwar nicht gläubig, mochte es aber nicht, wenn mit religiösen Dingen gespielt wurde. Solche Heiligenbildchen fand man in allen Ramschläden von ganz Brasilien, aber sie mochte diesen gemarterten Sebastian um seines traurigen Lächelns und des schönen androgynen Gesichts willen. Dass die karmesinroten Blutstropfen, die aus den Wunden quollen, sie insgeheim erregten, so sehr, dass sie ihr während der orgasmischsten Momente des Liebesspiels fast immer vor Augen traten, hätte sie kaum jemandem gestanden.
    »Keine Angst, Liebes«, sagte Pablo und öffnete vorsichtig eine Filmdose, deren Inhalt er auf das Glas schüttete, »ich gebe nur eine Runde aus.«
    »Wooow!«, rief Tahïs, als sie die dicken Krümel Kokain sah, die über die Scheibe kullerten. »Das ist ja wie Weihnachten,
Mãe de Deus!
«
    »Schau mal einer an …« Auch Moéma war von diesem Füllhorn beendruckt. »Wo hast du denn dieses Wunderzeug her?«
    »Gerade bekommen. Die kleinen Brocken bedeuten, dass es nicht verschnitten ist. Die pure Substanz, meine Süßen!«
    Unter den aufmerksamen Blicken der beiden jungen Frauen zerstieß Pablo die Krümel mit einer Rasierklinge zu Pulver. Dann viertelte er das Häufchen und schob es geschickt zu vier säuberlich parallelen Lines zurecht.
    »Ohne mich, danke …« Jäh stand Virgilio auf. »Tut mir leid, ich muss los.«
    Moéma blickte auf und antwortete mit einer fatalistischen Grimasse.
    »Sehen wir uns heute Abend bei diesem Fest in der Casa de Cultura Alemã?«
    »Ja, wenn du dann noch imstande bist, irgendwohin zu gehen.«
    »Ich komme, nur keine Sorge.«
    »Gut. Dann bis später. Aber passt auf, das Zeug ist Scheiße.«
    Er war noch nicht aus der Tür, da hatte Pablo Virgilios Anteil schon auf die drei anderen Lines verteilt.
    »Er hat ja keine Ahnung, was ihm entgeht, euer kleiner Journalist. Hat er Angst oder was?«
    »Vergiss es«, erwiderte Moéma kalt, »der ist in Ordnung.«
    »Okay, ich hab nichts gesagt. Also bitte, nach dir.«
    Er hielt ihr einen zylindrisch zusammengerollten 100 -Cruzeiro-Schein hin. Über den heiligen Sebastian gebeugt, schob sich Moéma dieses improvisierte Röhrchen in ein Nasenloch und hielt sich das andere mit dem Zeigefinger zu. Dann sog sie routiniert und gleichmäßig die Hälfte der Linie ein und wiederholte dasselbe mit dem anderen Nasenloch. Sie zog feste die Nase hoch, tupfte mit der Fingerspitze die letzten Kristalle von der Glasscheibe und rieb sie sich ins Zahnfleisch.
    »Que bom!«
Sie schloss genießerisch die Augen.
    Die Hitze kam in Doppelwellen über sie; ein merkwürdiger, etwas bitterer Geschmack betäubte ihren Mund.
    »Und?«, erkundigte sich Pablo, während Thaïs es ihrer Freundin gleichtat.
    »Du hast recht: Es ist guter Stoff, sehr guter.«
    »Wenn du mehr davon willst, sag’s mir am besten gleich. Das Zeug geht weg wie geschnitten Brot …«
    »Wie viel?«
    »Für dich derselbe Preis wie letztes Mal: Zehntausend pro Gramm.«
    Das schlechte Gewissen meldete sich erneut, und fast hätte Moéma das Angebot ausgeschlagen, aber das ärgerte sie wiederum. Dieses Gefühl, überwacht und schon im Voraus vom väterlichen Tribunal verurteilt zu werden. Wann würde sie endlich zu ihren Entscheidungen stehen? Mit dem Kleingeld, das sie jetzt hatte, konnte sie ihren Koksvorrat aufstocken – seit der Nacht neulich hatte sie so gut wie nichts mehr im Haus – und die Ersteinrichtung der Bar bezahlen. Rasch kalkulierte sie, dass zwei Gramm bis zum Monatsende genügen dürften. Außerdem fühlte sie sich so gut auf einmal, eine Herrin ihrer selbst und ihres Schicksals …
    »Meine Line könnte ihr euch teilen, ich hab für heut schon genug«, lächelte Pablo.
    Thaïs

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