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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Geld.
    »Maconheiros!«
Moéma schnupperte ostentativ in die Runde. »Ihr habt was geraucht, ihr Verräter!«
    »Wir sind
gerade dabei
, was zu rauchen«, korrigierte Pablo sie mit verschlagener Miene und drehte ihr seine rechte Handfläche zu, um ihr den halb aufgerauchten Joint zu zeigen, den er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt: »Willst du auch, meine Schöne?«
    »Da sag ich nicht nein.« Moéma nahm den Joint vorsichtig entgegen.
    Als sie durch ihre zur Muschel gefalteten Hände inhaliert hatte, zeigte Virgilio ihr eifrig die erste Nummer der Zeitschrift, mit der er ihnen allen seit Wochen auf den Wecker ging. Der von Shakespeare inspirierte Titel –
Tupi or not Tupi
 – bezog sich auf die Tupi-Guaranis, jene »zur Arbeit unfähigen« Ureinwohner, die die Konquistadoren systematisch massakriert und dann durch aus Afrika importierte Sklaven ersetzt hatten. Das Heft beeindruckte nicht durch seinen Umfang, sondern war im Offset-Verfahren hergestellt und enthielt zahlreiche Schwarzweiß-Illustrationen. Das Editorial stand unter dem Titel
O indio não é bicho
, »Der Indianer ist kein Tier«, und Virgilio formulierte darin die Ziele des kleinen Redaktionsteams: die Indianer Brasiliens – sowohl die Amazoniens als auch die des Mato Grosso – vor der Auslöschung zu bewahren; ihre Kultur, Gebräuche und Territorien gegen den krakenhaften Einfall der Industriezivilisation zu verteidigen; ihre Geschichte als die beste Art und Weise zu propagieren, wie Brasilien dem Zugriff der Großmächte auf das Land widerstehen kann. Dieses weitgespannte Programm umfasste sämtliche Kulturen des Landesinneren, die, so Virgilio, die Bräuche der Ureinwohner weitertrugen, und es beinhaltete eine aktive Verteidigung der Sprachen und oralen Überlieferungen des Landes.
    »Na, wie findest du es?«, fragte Virgilio etwas unsicher.
    Sein schmales, pickliges Gesicht war unvorteilhaft, doch hatte er sanfte Rehaugen hinter den Gläsern seiner kleinen Brille mit Goldfassung. Moéma mochte ihn außerordentlich gern.
    »Phantastisch! Ich hätte nicht gedacht, dass du das schaffst … Genial, Virgilio! Du kannst stolz auf dich sein.«
    »Du musst mir für die nächste Nummer was schreiben. Ich habe schon zehn Abonnenten, nicht schlecht für den ersten Tag, was?«
    »Mit mir schon elf! Sag mir einfach, was es kostet.« Sie blätterte weiter in der Zeitschrift. »Super, das über die Xingu-Tattoos … Wer ist denn dieser Sanchez Labrador?«
    »Ich«, sagte Virgilio um Entschuldigung heischend. »Genauso wie Ignacio Valladolid, Angel Perralta usw. Ist alles von mir, außer den Zeichnungen. Du weißt doch, wie’s geht: Erst versprechen die Leute mir jede Menge Artikel, aber wenn es so weit ist, ist keiner mehr greifbar. Jetzt, wo die erste Nummer raus ist, ertrinke ich wieder fast in Angeboten. Zum Wahnsinnigwerden! Die Leute wissen wirklich nicht, was sie wollen.«
    »Genau!«, sagte Thaïs und verbrannte sich die Fingerspitzen an dem winzigen Stummel, aus dem sie noch einen letzten Zug versuchte.
    »Wenn du willst«, sagte Moéma, »kann ich was über die Kadiwéu für dich schreiben. Die hatten wir dieses Jahr als Beispiel für das Konzept des Endorsements. Weißt du, dass die sich für alles verantwortlich fühlen, sogar dafür, dass jeden Tag die Sonne aufgeht?«
    »Mein Gott, was für Idioten!« Pablo lachte laut los. »Na, die beneide ich nicht …« Doch als er Moémas wütendes Gesicht sah, beruhigte er sich schnell: »Schon gut, schon gut! Darf man nicht mal mehr ’nen Witz machen? Ich versteh nichts von euren Geschichten da!«
    »Dann gib dir wenigstens Mühe. Unsere Gegenwart steht auf dem Spiel. Mit jedem Baum, der gefällt wird, stirbt ein Indianer; und jedes Mal, wenn ein Indianer stirbt, wird ganz Brasilien ein bisschen dümmer, also amerikanischer … Und das geht immer so weiter, weil es Tausende von Typen wie dich gibt, die auf alles scheißen und sich still ins Fäustchen lachen!«
    »Ich sag doch, ich hab ’nen Witz gemacht …«
    »Ich auch«, meinte Moéma knochentrocken.
    »Du musst dich immer so aufspielen, jedes Mal, wenn die Rede auf die Indianer kommt. Das kann einem wirklich auf die Eier gehen, Kleine, das sag ich dir!«
    »So, Leute, jetzt kommt mal wieder runter«, versuchte Virgilio sie zu versöhnen. »Das hat doch keinen Zweck. Während ihr euch in die Haare kommt, verkauft unser Präsident in aller Ruhe ein Stückchen Amazonas an eine Bergbaugesellschaft aus Texas, ein Stückchen so groß wie die

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