Wo Tiger zu Hause sind
nicht mit ihren Studenten einen zu trinken, und schon gar nicht mit den Student
innen
…«
»Auf meinen Ruf pfeif ich schon lange. Wenn’s nur das ist …«
»Nein, nein … Es geht nicht. Ich kann sowieso … egal. Aber was machen Sie am Wochenende? Ich meine, haben Sie schon etwas vor?«
Roetgen musste ein Lächeln unterdrücken angesichts der Verlegenheit der jungen Frau: Verhaspelte sie sich hier im letzten Moment in einer seit langem vorbereiteten Ansprache delikater Dinge, oder improvisierte sie munter drauflos und löckte wider die Konventionen? Das Ungebändigte an ihr hatte ihn bereits angezogen, dies aufsässig-ironische Funkeln, mit dem sie hinten im Seminarraum die Augen zusamenkniff, wenn ihre Blicke sich begegneten, alles, was dafür sorgt, dass jemand aus der Menge herausragt, bis er sich in deine Träume und Gedanken einmischt und sie mit einem geheimnisvollen Beharrungsvermögen infiziert und erhellt. Diese ungeschickte Annäherung jetzt bereitete ihm ein irrsinniges Vergnügen.
»Am Wochenende? Nichts Besonderes. Ich lese, oder ich spiele Schach. Und ich treffe Andreas, den kennst du ja; wir gehen oft miteinander wandern, wir zwei und seine beiden Kinder.«
»Wo denn?«
»Mal da, mal dort, manchmal im ›Inneren‹, wie ihr es hier nennt, öfter in Porto das Dunas. Wir trinken ein Glas Wein, wir reden, wir lassen uns treiben … Nichts besonders Originelles, wie du siehst.«
»Kennen Sie Canoa Quebrada?«
»Nie davon gehört.«
»Das ist ein kleines Fischerdorf, vollkommen allein in den Dünen, dreihundert Kilometer von hier. Ein cooler Ort, also noch intakt, meine ich. Kein Hotel, keine Touristen, nicht mal elektrischer Strom! Die schönste Ecke des Nordeste, wenn Sie mich fragen. Ich fahre morgen mit einer Freundin hin. Haben Sie vielleicht Lust mitzukommen?«
Er ergriff die Gelegenheit beim Schopfe. Moéma nannte ihm die Abfahrtszeit, empfahl ihm, eine Hängematte mitzubringen, und verschwand in der duftenden Nacht des Campus.
Früh am nächsten Morgen traf Roetgen die beiden jungen Frauen an der
Rodoviária
, dem riesigen Busbahnhof in der Avenida Osvaldo Studart. Thaïs hatte schon die Fahrkarten besorgt, er brauchte nur mit ihnen in den Bus Fortaleza-Mossoró zu steigen, der schon mit spuckendem Motor auf dem Platz stand. Noch in der Stadt füllte sich der Bus mit einer bunten, lebhaften Menge, das bevorzugte Thema des Klatsches war der Flugzeugabsturz, von dem auf allen Titelseiten die Rede war. Eine Viertelstunde nach Abfahrt überließ Roetgen seinen Sitzplatz einer alten Frau – er hätte sie ohne weiteres auf sechzig geschätzt, bis Moéma ihm versicherte, sie sei schwanger! –, und so stand er seit bald drei Stunden und hatte seine höfliche Geste bitter zu bereuen.
Iguape, Caponga, Cascavel, Beberibe, Sucatinga, Parajuru … Moéma hatte dem Fahrer wohl Bescheid gesagt: Kurz hinter Aracati hielt der Bus mitten im Nirgendwo an einer Kreuzung mit einem schmalen, ausgefahrenen, aber schnurgeraden Sträßchen, das unmerklich zum nahen, von Gesträuch und hageren Carnaúba-Bäumen begrenzten Horizont anstieg.
»So, bitte schön!«, sagte Moéma, während der Bus in einer Staubwolke davonfuhr. »Noch eine Stunde zu Fuß, dann sind wir da.«
»Eine Stunde!?«, protestierte Roetgen, »Warum hast du nichts davon gesagt?«
»Ich wollte Sie nicht abschrecken.« Moéma setzte sich die Sonnenbrille auf. Und mit entwaffnendem Lächeln fügte sie hinzu: »Ich hatte doch gesagt, es liegt am Ende der Welt. Das Paradies will verdient sein!«
»Na, dann mal los ins Paradies … Ich hoffe, wir können wenigstens baden, wenn wir dort sind!«
»Und wie! Der schönste Strand des ganzen Nordeste, Sie werden schon sehen. Aber erst mal machen wir uns für die Wanderung fit. Sie … du hast doch nichts gegen einen kleinen Joint, oder? Entschuldige, ich hab’s satt, dich zu siezen. Hier sind wir auf meinem Territorium, mein Pech, wenn ich mich in dir getäuscht haben sollte.«
»Vixe Maria!«
, rief Thaïs, verblüfft von der Chuzpe ihrer Freundin. »Du bist ja völlig verrückt, das kann doch nicht wahr sein …«
»Keine Sorge«, beruhigte Roetgen sie, insgeheim entzückt von Moémas Spürsinn. »Ich kann zwischen der Uni und dem wirklichen Leben unterscheiden. Sonst wäre ich gar nicht erst mitgekommen, oder?«
»Wenn ich den geringsten Zweifel gehabt hätte, hätte ich es dir nicht vorgeschlagen«, sagte Moéma, ohne den Blick von der Zigarette zu wenden, die sie gerade
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