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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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leicht ironischem Lächeln fragte sie: »Schaffst du das?«
    »Muss ich wohl, oder?«
    Die beiden jungen Frauen kletterten voraus. Kurz sah er noch ihre Hinterteile in den locker sitzenden kurzen Hosen, dann entfernten sie sich. Thaïs und Moéma kletterten verblüffend schnell, halfen sich mit den Händen, traten kleine Sandlawinen los, die vor ihm herniedergingen. Die Reisetasche war hinderlich, der Tragegurt rutschte ihm fortwährend von der Schulter, der Schweiß blendete ihn, er verstolperte sich, rutschte plötzlich einige Meter zurück und erreichte den Kamm der Düne geraume Zeit nach ihnen, und auch das nur, um mitzuerleben, wie sie sich über seine ulkigen Mühen vor Lachen auszuschütten schienen.
    Der Anblick, der sich ihm bot, trieb jedoch alles Mokante aus dem Lachen der Mädchen, sondern ließ es als Jubelchor erscheinen, als fröhliche Feier der Schönheit der Welt. Der Ozean lag vor ihnen, türkisblau, leuchtend wie arabische Fliesen. An das Halbrund der Küste schmiegte sich, so weit das Auge reichte, eine unendliche Dünenlandschaft, die sich sanft zum Ufer und der weißen Brandung hin senkte. Weder Baum noch Vogel, noch Insekt, keinerlei Hinweis auf menschliches Leben: Der Traum eines Astronomen von einem barbarischen, verwüsteten, auf ewig reglos unter der brennenden Sonne liegenden Planeten.
    Roetgen pfiff kurz vor Bewunderung.
    »Nicht übel, was?«, fragte Moéma, ein Quäntchen Stolz in der Stimme: »Ich hab’s ja gewusst, dass es dir gefallen würde … Schau, das Dorf ist gleich da unten.«
    Dort, wohin sie wies, war nur etwas Formloses, wie Verfallenes zu sehen, dessen dunkles Braunrot ein wenig vom Sandbeige der Umgebung abstach; bei besserem Hinsehen erkannte Roetgen am Strand fünf, sechs Segel von Jangadas, die mit der Gischt verschmolzen. Sie beschleunigten den Schritt und sahen bald einige Strohhütten, die ein Dünenkamm ihnen bislang verborgen hatte. Ein skelettdürrer Hund kam ein Stück weit auf sie zu. Er bellte matt, wie aus Pflichtgefühl, dann kreuzte, von einem kleinen Mädchen geführt, ein mit Eisblöcken beladener Esel ihren Weg. Hinter sich ließ er eine lange Perlenkette von dunklen Tropfen im Sand.
    So kamen sie nach Canoa Quebrada.
     
    Das Dorf, das waren rudimentäre, direkt in den Dünensand gesetzte Häuschen. Sie standen einander am Abhang gegenüber und bildeten eine einzige, zum Ozean hinabführende Straße. Die meisten waren aus nachlässig weiß gekalktem Strohlehm gebaut; sie erhoben sich auf mageren Holzstelzen, die so schief und knotig waren wie die dürre Vegetation des Sertão, und waren mit provisorischen Vordächern versehen, aus denen Äste und trockene Palmwedel ragten. Die Bescheidensten unter ihnen waren übrigens nur Hütten, Imitationen der aus festerem Material gebauten Häuschen, einfache Unterstände; der Sand der Straße ging nahtlos in denjenigen des einzigen Innenraums über, der vom knorrigen Zimmerwerk noch zusätzlich beengt wurde. Die Fenster weder der einen noch der anderen verfügten über Scheiben oder auch nur über Rahmen. Offenbar begnügte man sich damit, diese Öffnungen mit grob zusammengehauenen Läden zu verschließen. Mitten auf der Straße standen hier und da ein Dutzend baufälliger Masten, an denen sich wiederum ein schütteres Netz elektrischer Leitungen und von Glühbirnen mit Weißblechschirmen spannte; der Generator war schon so lange ausgefallen, dass man jede Hoffnung auf Reparatur aufgegeben hatte. Hier und da rauschten in der Meeresbrise ein paar verstreute Palmen oder auch kaum zahlreichere Tamarisken, denen der salzgeschwängerte Wind weniger auszumachen schien. In den hinter den Hütten zusammengeworfenen Müllhaufen pickten und stöberten Hühner und schwarze Schweine in aller Freiheit nach Futter.
    Ein einziger Brunnen versorgte die auf sich selbst angewiesene, wie ein isolierter Stamm in ihre Einsamkeit verkrochene Bevölkerung mit brackigem Wasser.
    Als erste Amtshandlung begab Moéma sich zu einer Frau namens Neosinha, die ein Haus am Staßenrand bewohnte, eben an der Stelle, wo das Gefälle zum Strand hinab begann. Gegen ein paar Cruzeiros erwarb sie für sich und die beiden anderen das Recht, die Hängematten in einer der beiden Hütten aufzuhängen, die der Sohn des Hauses unweit zusammengezimmert hatte, ausschließlich für vorbeikommende Gäste bestimmt.
    »Hier ist wenig los«, erklärte sie Roetgen, »aber manchmal kommt trotzdem jemand aus Aracati oder von noch weiter, um in Ruhe zu baden. Zum

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