Wo Tiger zu Hause sind
Beispiel wir. Das bringt Neosinha ein paar kleine Einnahmen, und für uns ist es günstig. Wenn ich allein hier bin, schlafe ich bei meinem Freund, dem Fischer João. Aber zu dritt geht das nicht. Wir gehen nachher bei ihm vorbei, du wirst sehen, der ist voll in Ordnung! Ich kenne niemanden, der so freundlich ist wie er.«
»Also!«, meinte Thaïs, »wir stellen unsere Sachen ab und gehen sofort ins Wasser, ja?«
»Die Sachen abstellen ja, aber ich will zuerst zu João. Dauert nur fünf Minuten.«
»Wie du willst.« Thaïs wirkte ein wenig entnervt. »Aber ich halt’s nicht mehr aus, ich warte im Wasser auf euch.«
Sie ließen Rucksäcke und Taschen auf dem Sandboden der Hütte, und während Thaïs sich umzog, gingen Roetgen und Moéma die Straße wieder hinauf.
»Was hat sie denn?«, erkundigte sich Roetgen.
»Das geht vorbei. Sie ist ein bisschen eifersüchtig, das ist alles.«
»Eifersüchtig, aha. Auf wen denn?«
»Na auf dich, Mensch. Sie ist ziemlich besitzergreifend, und du warst ursprünglich nicht im Programm vorgesehen …«
Erfreut über dieses verhüllte Kompliment, sah Roetgen sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Unwillkürlich trat ein Lächeln auf sein Gesicht, das besagen sollte:
»Wie dumm. Eifersüchtig, auf mich, dabei ist zwischen uns doch nichts vorgefallen.«
– das aber im Gegenteil eine gewisse Herablassung verriet und zudem die unmögliche Lust, Thaïs’ Verdacht doch noch zu bestätigen.
»Bild dir nichts ein«, sagte Moéma trocken. »Dass ich dich gestern Abend eingeladen hab, lag nur an deinem Hundeblick. Du hast derart verloren ausgesehen zwischen all diesen Dozenten. So traurig … du bist da nicht am richtigen Platz. Ich möchte mal wissen, warum die das nicht merken! Da hab ich einfach Lust bekommen, dich mal da rauszuholen und dir was anderes zu zeigen, das wahre Brasilien! Lebendige Menschen schlicht und einfach.«
Roetgen verstärkte seinen Blick, als wollte er die tatsächliche Bedeutung dieser Eröffnung erforschen. Eine Sekunde lang bereute er, nach Canoa Quebrada mitgefahren zu sein.
Sie standen jetzt vor einer Hütte wie derjenigen, die sie gemietet hatten, die aber noch heruntergekommener war, wie verwelkt. Auf dem Dach eines winzigen Anbaus trocknende Haifischflossen verströmten einen intensiven Salmiakgeruch. Im Schatten hockte ein Mann und entwirrte mit der Besonnenheit und den geschickten Handgriffen einer Näherin sorgsam ein Fischernetz. Er bemerkte sie erst, als Moéma ihn mit heller Stimme ansprach.
»
Tudo bem
, João?«
Kurz verharrte er so ernsthaft wie ein Schreiber, dann leuchtete ein zahnlückiges Lächeln in seinem Gesicht auf, ebenso rührend wie bei kleinen Mädchen, deren blankes Zahnfleisch sie zwar verunstaltet, aber nicht hässlich erscheinen lässt.
»Die Moéma!« Er stand auf, um sie zu umarmen. »So eine schöne Überraschung!
Tudo bom
, mein Mädchen,
tudo bom
, Gott sei Dank.«
»Das hier ist …« Sie sprach nicht weiter und drehte sich zu Roetgen um: »Ja, wie heißt du eigentlich mit Vornamen?«
»Vergiss es«, sagte er in einem merkwürdigen Tonfall. »Ganz einfach Roetgen, ist mir lieber so, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Ist mir wurscht«, sagte Moéma. »Gut also, das hier ist Roetgen,
ganz einfach
Roetgen … Ein Freund aus Frankreich. Er ist Professor an der Uni in Fortaleza.«
João versuchte diesen ungewöhnlichen Namen zu wiederholen und entstellte ihn jedes Mal anders.
»Das wird nie was,
Francês
, zu kompliziert«, sagte er mit einer entschuldigenden Geste. »Trotzdem willkommen!«
Moéma hielt ihm die Plastiktüte hin, die sie seit dem Stopp in der Hütte in der Hand trug.
»Da, ich hab dir ein paar Kleinigkeiten mitgebracht, die ich übrig hatte. Außerdem Aspirin und Antibiotika.«
Mit betrübtem Nicken betrachtete João den Inhalt der Tüte.
»Gott segne dich, meine Kleine … Die Fischerei ist nicht mehr das, was sie mal war, ich bekomme meine Kinder nicht mehr satt. Und meine Maria ist schon wieder schwanger …«
»Sie haben schon acht Kinder.« In Moémas Miene mischten sich Mitleid und Ärger. »Verrückt, was?«
»Ich bringe José sofort eine Banane«, sagte João. »Seit seinem Unfall braucht er Vitamine.«
»Wie geht es ihm?«, fragte Moéma, während sie die Hütte betraten.
»Nicht so schlecht. Die Wunde ist fast vernarbt, aber ein paar Eiterherde sind noch da. Die Néosinha macht ihm Umschläge mit Kuhmist. Sie sagt, das brennt die Entzündung weg.«
»Du musst mir
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