Wo Träume im Wind verwehen
lachend. »Obwohl es als Leitstern ausgedient hat. Wenn ich heute irgendwohin will, rufe ich mein Reisebüro an. Schluss mit den Fußmärschen, und Schluss mit der Suche nach unserem verirrten Schwesterlein.«
»Ich brauche überhaupt keine Sterne«, meinte Skye.
»Jeder Mensch braucht Sterne«, widersprach Augusta. »Jeder, ohne Ausnahme«, sagte sie noch einmal, als wollte sie die Wichtigkeit ihrer Worte unterstreichen.
»Was wir brauchen, sind Cocktails«, entgegnete Skye. »Wäre es nicht langsam an der Zeit? Die Sonne ist unter- und der Mond aufgegangen. Wie ihr seht, kenne ich mich auch mit Zeichen aus, die uns der Himmel schickt. Jetzt ist jedenfalls Cocktailstunde. Stimmt’s, Homer?« Der betagte Golden Retriever wedelte mit dem Schwanz.
»Hm, du hast Recht«, bestätigte Augusta, nachdem sie auf ihre Armbanduhr gesehen hatte. Sie warf Caroline und Clea einen herausfordernden Blick zu, als ob sie damit rechnen würde, dass die beiden ein Machtwort sprachen. In dem Moment erinnerte ihre Mutter Caroline an einen aufmüpfigen Teenager, der dabei war, ein Verbot zu übertreten und die Eltern warnte, sie daran zu hindern. Da niemand Einwände erhob, ging Augusta ins Haus.
»Endlich gibt es Cocktails!«, sagte Skye zu Homer.
»Alkohol ist keine Lösung«, hielt Caroline ihr entgegen.
Statt beleidigt zu sein, warf Skye ihr eine Kusshand zu. Nach all den gemeinsam verbrachten Jahren waren ihre Rollen klar umrissen. Skye führte sich auf wie ein ungezogenes Kind, und Caroline bemühte sich, den Schaden wieder gutzumachen.
Caroline rutschte in ihrem Sessel hin und her. Sie empfand ein tiefes Unbehagen, eine Art innerer Unruhe, gepaart mit Angst. In letzter Zeit war sie oft reizbar und unzufrieden mit ihrem Leben, obwohl es ihr an nichts mangelte. Vielleicht lag es daran, dass sie hilflos mit ansehen musste, wie Skye, ein Mensch, den sie liebte, ihr Leben wegwarf. Sie musste sich zusammenreißen, um darauf nicht mit scharfen Worten zu reagieren. Caroline war immer der Klebstoff gewesen, der ihre jüngste Schwester zusammenhielt, doch sie befürchtete, dass Skye sich nun systematisch zerstörte.
»Simon ist noch nicht zurück, oder?«, fragte Clea, auf Skyes Ehemann anspielend, einen Maler und Taugenichts. »Kommt er heute überhaupt nach Hause?«
»Nein, und was ist mit Peter?« Die Rede war von Cleas Mann, der Krankenhauspfarrer war.
»Peter ist mit den Kindern Pizza essen gegangen.«
»Peter ist ein Schatz. Nimmt dir die Kinder mal einen Abend ab«, sagte Caroline.
»Apropos ausgehen. Wie war eigentlich deine Verabredung neulich, Caroline?«, erkundigte sich Clea.
»Na ja, ganz nett.« Caroline zuckte lächelnd mit den Schultern.
»Wer war denn der Ärmste?«, fragte Skye. »Doch nicht etwa dieser Investmentbanker? Der kann einem ja richtig Leid tun! Nimmt den weiten Weg von New York in Kauf, nur um festzustellen, dass er nicht die geringste Chance bei dir hat.«
»Jetzt reicht’s aber«, sagte Caroline lachend und stand auf. Sechsunddreißig und immer noch nicht unter der Haube. Die einzige Renwick, die unverheiratet geblieben oder auch nur in die Nähe des Traualtars gekommen war. Ihre Schwestern hätten diesem Zustand gerne abgeholfen und ihrem hartnäckig verteidigten Dasein als Single ein Ende gesetzt.
»Im Ernst«, scherzte Skye und stolperte über das »s«. »Zweihundert Meilen im Mercedes 500 SL , um herauszufinden, dass nicht einmal ein Kuss bei der ersten Verab …«
»Ich werde mal nachsehen, was Mom macht«, unterbrach Caroline sie, drehte sich um und ging, damit sie nicht mitanhören musste, wie betrunken Skye klang.
Sie schlenderte über den weitläufigen grünen Rasen und betrat das Haus, das nun ihrer Mutter gehörte. Firefly Hill war ihr Elternhaus, hier hatte sie ihre Kindheit verbracht. Hugh und Augusta Renwick hatten das Anwesen an der Küste von Connecticut nach Noël Cowards Domizil auf Jamaika benannt, denn an windstillen Juniabenden wie diesem, wenn der Mond über dem Sund aufging, waren die dunklen Wiesen rund um das alte, im viktorianischen Stil errichtete Gebäude und das Dickicht am darunter liegenden Strand mit den grüngoldenen Leuchtpünktchen von abertausend Feuerfliegen gesprenkelt. Als Kinder pflegten die drei Schwestern barfuß durch das hohe Gras zu laufen und sie in der hohlen Hand zu fangen.
Hugh und Augusta Renwick hatten ihr Anwesen Firefly Hill genannt, weil der englische Dramatiker, Komponist, Regisseur und Schauspieler Noël Coward für sie
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