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Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Titel: Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Reich
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linken Straßenseite, die dienstags zwischen 8 Uhr und 11 Uhr geräumt werden muss, damit Platz für die Straßenreinigung ist. Am Freitagmorgen wird die andere Straßenseite gereinigt. Es ist jetzt fünf vor acht und ich renne. Man fährt das Auto meist nur auf die andere Straßenseite und parkt es neben den dort stehenden Wagen. Man legt einen Zettel mit seiner Telefonnummer hinter die Windschutzscheibe für den Fall, dass eines der Autos, die auf der nicht zu räumenden Seite stehen, wegfahren muss, und wartet bis elf. Manchmal kommt gar keine Straßenreinigung, aber das ist egal. Es ist eine Regel, ein Verstoß kostet hundert Dollar und die Polizei kommt immer. Sie steht mit ihren Autos schon fünf vor acht an den Straßenecken und wartet.
    Es ist sicher lustig, aus dem Fenster des Polizeiwagens heraus zu beobachten, wie all die verschlafenen Autobesitzer gleichzeitig aus ihren Häusern springen. Es ist ein Spiel, ein Wettkampf. Ich habe manchmal nur knapp verloren, ich habe schon Strafzettel bekommen, wenn ich nur zwei Minuten zu spät war. Das gilt auch für das Zurückparken. Eine Minute zu spät und man hat einen Strafzettel. Es gibt keinen Spielraum hier mit den Behörden. In Deutschland kann man den Polizisten um Nachsicht bitten, um Verhältnismäßigkeit, hier wird das schnell als Widerstand gegen die Staatsgewalt ausgelegt. Es gibt eine Linie, es gibt die Regel. Die Regel ist die Regel.
    Als ich unser Auto bei der New Yorker Autoanmeldungsbehörde registrieren lassen wollte, wartete ich gut drei Stunden. Hinterm Schalter saß eine dicke, schwarze Polizeibeamtin, ich schob meine Papiere über den Tresen. Fahrerlaubnis, Pass, Presseausweis, Mietvertrag, Gasabrechnung. Fünf Dinge, die mich auswiesen, sie wollte sechs.
    Ich sagte: »Ich habe drei Stunden gewartet.«
    Sie sagte: »Six pieces of ID.«
    Ich sagte: »Warum reichen Ihnen nicht fünf?«
    Sie sagte: »Es ist die Regel, Sir.«
    Ich sagte: »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
    Sie sagte: »Sir, beruhigen Sie sich. Sir. Bitte treten Sie vom Schalter zurück.«
    In ihren Augen war nicht der winzigste Spielraum zu erkennen. Ich packte meine fünf Ausweise ein, lief nach Hause, holte noch eine Stromrechnung, wartete wieder drei Stunden und meldete mein Auto an.
    Man darf über diese Dinge nicht so viel nachdenken, man macht sie so lange, bis sie ins Blut übergehen. Man rennt raus, parkt das Auto um, rennt zurück. Nach einem halben Jahr ärgert man sich nicht mehr über das Umparken, man ist froh über jeden muslimischen, jüdischen oder christlichen Feiertag, weil man da ausnahmsweise nicht umparken muss. Es ist schwer, das Glücksgefühl zu beschreiben, wenn man an einem Montagabend einen Parkplatz auf der Straßenseite bekommt, die erst am Freitag geräumt werden muss. Man scheint plötzlich unendlich viel Spielraum zu haben.
    Ich parke das Auto in der zweiten Reihe an der Ecke Carroll Street und 6 th Avenue, gegenüber der katholischen Kirche, die wir zu Weihnachten besuchen und zu Ostern. Einen Augenblick sitze ich noch hinterm Steuer, höre die Acht-Uhr-Nachrichten und sehe aus dem Fenster auf die Polizei und die anderen Autos. Ich habe einen ganz guten Überblick, denn ich habe mir einen Geländewagen gekauft, einen alten
Pathfinder
, der ist eckig und schwarz und an der Heckklappe klebt ein großes Ersatzrad. Meine Frau mag ihn nicht, weil er zu viel Benzin verbraucht und zu den Modellen gehört, die in den Kurven manchmal umkippen, aber ich liebe ihn. Man sitzt ein bisschen höher über dem Leben in so einem Auto, denke ich. Die Dinge sehen einfacher aus von hier oben, sie sehen beherrschbar aus. Es wird ein schöner Tag, sagen sie im Radio
. Lots o' sunshine.
     
     
     
    E inen Moment lang denke ich, dass Alex gerade ganz umsonst zum Auto gerannt ist. Heute sind ja Wahlen, und es kann durchaus sein, dass man an Wahltagen nicht umparken muss. Wir haben den Zettel mit den Ausnahmetagen an den Kühlschrank geklebt, aber Alex schaut nicht auf den Zettel. Er erwartet, dass ich ihm Instruktionen gebe. Ich sehe ihn vor mir, wie er mir sagt, du hättest es doch wissen müssen, schließlich ist Debbie deine Freundin.
    Debbie ist meine einzige Verbindung zu den Wahlen heute.
    Ich wohne seit fast zwei Jahren in New York. Aber ich bin immer noch Gast. Bei der Einreise muss ich mich in die Touristenschlange einreihen und werde jedesmal wieder gefragt, was ich in New York will. Ich habe keine Green Card, ich bekomme nicht mal die Rabattkarte des

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