Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York
Modeladens GAP, die sie sonst jedem andrehen. Nicht kreditwürdig, sagt die GAP-Verkäuferin mit einem mitleidigen Lächeln, nachdem ich einen langen Fragebogen ausgefüllt habe und sie meine Daten in ihren Computer übertragen hat. Nicht kreditwürdig. Ich habe keine Ahnung, warum ich nicht kreditwürdig bin. Ich bin nicht arm, ich habe keine Schulden, ich wohne in einem der besten Viertel der Stadt, unsere Nachbarn laden mich zu ihren Dinner Parties ein. Sie denken, ich sei eine von ihnen, ich wiederum denke, dass mich ihre polnische Putzfrau besser verstehe als sie. Donna, die in Wirklichkeit Danuta heißt und in ihrer Heimat Krankenschwester gelernt hat, darf auch nicht wählen und hat vermutlich genauso wenig Ahnung wie ich, ob Mark Green oder Fernando Ferrer der bessere Bürgermeister für New York wäre. Es fällt schwer, Anteil zu nehmen, wenn man nicht Teil von etwas ist. Das Einzige, was mich an diesen Primaries interessiert, ist, ob Marty Markowitz Bürgermeister von Brooklyn wird, denn dann bekommt Debbie wieder einen Job. In den letzten Wochen redet sie von nichts anderem. Marty hat das gesagt, Marty hat diesen und jenen getroffen, heute Morgen steht sie im Marty-Markowitz-Shirt vor Schulen und fordert die Leute auf, ihn zu wählen. Wahrscheinlich ist sie schon seit Stunden unterwegs.
Debbie heißt eigentlich Deborah, aber niemand nennt sie so, nicht einmal sie selbst. »Hi, I'm Debbie«, hat sie gesagt, als sie am Morgen nach unserer Ankunft aus Berlin an unserer Tür klingelte. Alex hatte die Kinder, den Kater und mich aus Berlin abgeholt, war aber noch in der gleichen Nacht nach Texas weitergeflogen. Mascha und Ferdinand saßen zwischen Umzugskisten im Wohnzimmer und legten ein Puzzle zusammen. Ich stand am Fenster, guckte mir die Leute an, die an unserem Haus vorbeiliefen, und hätte heulen können. Mütter brachten ihre Kinder zur Schule, redeten mit anderen Müttern, Männer hetzten zur Subway, alle hatten etwas zu tun, nur ich nicht. Ich hatte alles in Berlin zurückgelassen, was meinem Leben eine Struktur gegeben hatte: die Schule meines Sohnes, den Kindergarten meiner Tochter, meine feste Stelle in der Redaktion, meine Familie, meine Freunde, meine Sprache – an diesem ersten, grauen Dezembermorgen in Brooklyn hatte ich vergessen, warum.
Ich dachte an die Mütter in meinem Kreuzberger Pekip-Kurs, wie sie mich ansahen, als wir nach der Babygymnastik im Café saßen und ich ihnen von unseren Umzugsplänen erzählte. Eine von ihnen zog gerade mit ihrem Mann nach Namibia, das konnten die Pekip-Mütter verstehen. In Namibia war es warm, Namibia war exotisch, in Namibia konnte man sich auf Deutsch verständigen. Aber warum um alles in der Welt wollte man mit zwei kleinen Kindern nach New York, wo es laut war und teuer und dreckig und kalt im Winter?
»Weil es aufregend ist«, sagte ich. »Weil unsere Kinder Englisch lernen werden. Weil wir Geschichten aus Amerika schreiben können.« Die Pekip-Frauen verstanden mich nicht, sie hatten kein Fernweh, sie hatten ihrer kleinen Familie ein Nest gebaut, und darin machten sie es sich gemütlich, während ich zu Hause Kisten packte und überlegte, was ich in der neuen Welt brauchte, was bis zu unserer Rückkehr eingelagert werden würde, bei welchen Ämtern ich mich abmelden, welche Verträge ich kündigen musste.
Die Frau, die nach Namibia ziehen wollte, gab mir eine Telefonnummer in Bonn, wo man mir weiterhelfen könnte, wie sie sich ausdrückte. Ich wählte die Nummer, ein Mann nahm ab, ich schilderte meine Situation. Der Mann am anderen Ende der Leitung schien genau zu wissen, wovon ich redete. Er sagte, es tue ihm leid, aber der Kurs sei schon ausgebucht.
»Was für ein Kurs?«, fragte ich.
»Die Schulung für mitreisende Ehefrauen«, sagte er.
»Es gibt Schulungen für mitreisende Ehefrauen?«, fragte ich.
Ich hatte davon noch nie gehört. Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht mal, dass es die mitreisende Ehefrau gibt, als Kategorie, als Problemgruppe mit Beratungsbedarf. Und selbst jetzt, da ich es wusste, wollte ich keine von ihnen sein. Ich konnte mir nicht im Traum vorstellen, zwischen Diplomatenfrauen an Schultischen zu sitzen und mich gewissenhaft auf meine neue Aufgabe als Mutter und Hausfrau vorzubereiten.
»Ja, diese Kurse sind sehr beliebt, aber leider auch schnell ausgebucht«, sagte der Mann. »Wir könnten Sie höchstens noch auf die Warteliste setzen.«
Das sei nicht nötig, sagte ich. Ich brauchte keine Schulung. Ich würde
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