Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York
sei sowieso nichts für die Ewigkeit gewesen. Sie meldete sich nicht einmal arbeitslos, und ich habe sie nicht ein einziges Mal klagen hören. Wir tranken viel Salmon Run in dieser Zeit, und Debbie erzählte aus der Zeit, als sie noch Musikagentin war und mit Helen Schneider und den Bay City Rollers um die Welt reiste.
Im Mai rief sie an, um zu berichten, dass sie einen neuen Job hatte, einen befristeten zunächst. Sechs Monate konnte sie für den State Senator Marty Markowitz arbeiten. Und wenn Marty, wie Debbie ihn nannte, Bürgermeister von Brooklyn werden sollte, würde Debbies Sechs-Monats-Vertrag auf unbefristete Zeit verlängert werden.
Marty trat gegen die stellvertretende Präsidentin des Abgeordnetenhauses in Brooklyn an sowie gegen einen Anwalt aus Brooklyn Heights. Debbie sagte, die Präsidentin des Abgeordnetenhauses habe gute Chancen, weil sie schwarz sei. Der Anwalt habe gute Chancen, weil er beliebt sei. Und Marty sei eben Marty. Viel hänge vom Wetter ab, bei schönem Wetter würden viele New Yorker wählen gehen, und aus irgendeinem Grund stünden Martys Chancen dann besser.
Debbie hatte Glück. Bis gestern Abend war es noch schwül und heiß gewesen, viel zu warm für September, aber nach dem Gewitter war der Himmel wolkenlos und die Luft klar. Marty-Wetter.
A
nother beautiful day in New York City«, sage ich, als ich mit meinen Kindern aus dem Haus trete. Wieder so ein schöner Tag. Das hat mir im Juni 1999 eine alte Frau zugerufen, die ich vor einem Zeitungsladen in Murray Hill traf.
Ich war damals für ein paar Tage nach New York gekommen, um eine Wohnung für uns zu finden. Die Stadt war heiß und staubig, die Börse kochte und die Mieten schossen in den Himmel. Ich hatte mir am Tag zuvor mit einem Immobilienmakler ein paar Wohnungen in Manhattan angesehen, die unbezahlbar waren. Zuletzt war ich mit dem Mann, der bestimmt zehn Jahre jünger war als ich und billige Schuhe mit angegossenen Sohlen trug, in einer Wohnung in der 20 th Straße gewesen, die 5700 Dollar im Monat kosten sollte. Die Wohnung war vielleicht 120 Quadratmeter groß, alle Fenster gingen auf einen dunklen Hof hinaus, ein paar Türen in den Küchenschränken hingen in den Angeln und eines der beiden Bäder war nur halb fertig, es roch nach Farbe und Desinfektionsmittel. 5700 Dollar waren damals etwa 14 000 Mark, ein kranker Preis, auf den mich niemand vorbereitet hatte. Mal abgesehen davon, dass wir uns die Wohnung nicht leisten konnten, konnte ich mir auch nicht vorstellen, hier mit meiner Familie zu wohnen. »Das Badezimmer machen wir natürlich noch fertig«, sagte der Makler. Ich nickte und dachte daran, wie mich eine Kollegin aus dem
Spiegel
-Büro vor den Versprechen der Makler gewarnt hatte. Was bei Unterschrift des Mietvertrages nicht in Ordnung ist, wird nie mehr in Ordnung gebracht. »Überleg's dir bis heute Abend«, sagte der Makler, als wir wieder unten auf der Straße standen, die laut war und dreckig. »Wir haben noch ein paar andere Interessenten, morgen ist die Wohnung weg.« In diesem Moment fing es an zu regnen. Ein heftiger Juniregen, der aus dem Nichts kam. Der Makler spannte einen Regenschirm auf und ging mit schnellen Schritten davon. Ich stand da im Regen und merkte erst gar nicht, dass ich heulte. Ich fühlte mich winzig, unbedeutend, wertlos. Ich war so dicht dran an meinem Traum, in dieser Stadt zu leben. Aber es reichte nicht, und womöglich würde es nie reichen. Ich ging ins
Gramercy Park Hotel
zurück, das mir mein Reiseführer empfohlen hatte, weil es an einem der letzten Privatparks New Yorks lag. Als Gast des Hotels hatte man ein Anrecht auf den Park, stand im Reiseführer. Man konnte sich den Schlüssel an der Rezeption holen. Die Frau an der Rezeption sah mich nur gelangweilt an. Davon wisse sie nichts, sagte sie und wandte sich dem nächsten Gast zu. Ich ging auf mein Hotelzimmer, das 200 Dollar die Nacht kostete, und sah aus dem schmalen Fenster in den halbdunklen Hofschacht. Auf der Klimaanlage am Fenster gegenüber saß eine fette New Yorker Taube und blinzelte mich an. In diesem Moment ließ ich den Traum fast los.
Am nächsten Morgen traf ich dann die alte, dicke Frau wie einen Engel. Sie strahlte mich an und rief: »Another beautiful day in New York City.« Das trug mich durch den Morgen, den Tag, und ich habe es bis heute nicht vergessen.
Man fühlt sich fast immer besser, wenn man hier auf die Straße tritt. Wildfremde Menschen loben deinen Mantel oder dein Kind
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