Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Necmi mich gebracht hatte, war sowohl warnend als auch unangenehm. Was sollte ich nun tun? … Ich konnte nicht vermeiden, von Şebnem zu sprechen. Die Rede war von einer Frau, von der wir hofften, sie werde in dem ›Spiel‹ aufs neue die Hauptrolle übernehmen. Diese Frau lebte, und sie war ›dort‹. Die Wahrheit mußte irgendwie ans Licht. Dabei mußte ich zugeben, daß die Wahrheit gegenwärtig ziemlich chaotisch war. Es tauchten jetzt am laufenden Band neue Fragen auf. Beispielsweise fragte ich mich inzwischen, ob sich in dem Wunsch von Necmi, mich auf einen solchen Punkt hinzuweisen, außer seiner unbezweifelten Freundschaft noch ein anderer, unausgesprochener Grund versteckte. Konnte es sein, daß er sich an meinem Interesse für Şebnem störte? Vielleicht tat ich ihm unrecht, wenn ich so dachte. Was auch immer der Mensch über einen anderen denkt, das denkt er ein wenig auch von sich selbst. Hätte ich in dieser Situation so gefühlt und ähnlich reagiert, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre? … Ich wollte das nicht weiterverfolgen. Von diesem Zweifel konnte ich mich nur befreien, indem ich sein Verhältnis zu Frauen verknüpfte mit der nie verheilten Wunde, die Fatoş Abla ihm geschlagen hatte. Insofern konnte ich nicht umhin, zu denken, daß er Çela unrecht tat. Die Frau, mit der ich so viele gemeinsame Jahre verbracht hatte, paßte nicht in die von ihm gezogenen engen Grenzen, sie würde mich allenfalls in meinem Kampf freundschaftlich unterstützen. Meine Antwort brachte diese Überzeugung zum Ausdruck.
»Du denkst ganz falsch. Çela ist keine solche Frau. Sie wird es verstehen. Vor ihr kann ich nicht verheimlichen, was ich erlebt habe. Ich kann es einfach nicht verheimlichen, verstehst du? … Wenn ich es verheimliche, habe ich Gewissensbisse.«
Ich wendete für einen Moment meinen Blick von der Straße ab und schaute ihn an. Auch er schaute mich an. In seinen Blicken sah ich wieder seine mir wohlbekannte Liebe. Zugleich aber sah ich auch, daß er meinen Worten keinen Glauben schenkte.
»Du mußt selbst wissen, was du tust. Ich mische mich nicht ein.«
Damit war die Sache erledigt. Ich entschied mich auch, nicht weiter auf seine Wunde einzugehen. Es blieb sowieso nicht mehr genug Zeit. In dem Augenblick machte er mir eine wichtige Mitteilung, die meinen Traum vom ›Spiel‹ bestärkte.
»Eigentlich gab es einen Grund, weshalb ich dich treffen wollte. Ich habe die Spur von Yorgos gefunden. Die Genossen dort haben nicht gezögert, die nötigen Erkundigungen einzuziehen. Du solltest mich fürchten, mein Junge! Was wir nicht alles für Verbindungen haben! Aber ich muß zugeben, wir hatten auch Glück, mein Gott! Glaub mir, ich hätte nicht gedacht, daß dies so leicht wäre. Ich habe die Telefonnummer und Adresse von dem Kerl. Es schaut so aus, als hätte er sich ein gutes Leben eingerichtet. Wenn du willst, kannst du ihn anrufen. Ich kann aber auch anrufen, mal sehen.«
Gleich beim ersten Mal, als er gesagt hatte, er könne Yorgos in Athen finden, muß ich sehr verwundert dreingeschaut haben. Diese Verwunderung erwartete jetzt eine Erklärung. Er spürte meine stumme Frage. Es war Zeit, sich einer bisher im dunkeln gebliebenen anderen Seite der Geschichte zuzuwenden … Er schaute wieder in die Ferne. Die Begegnung, die nun zu unseren Erlebnissen hinzukam, sollte mich erneut aufwühlen.
»Ich habe ihn einmal gesehen, als ich in Athen war. Er hat mich jedoch nicht gesehen. Wir sind mit unseren Leuten zur Probe eines Stücks gegangen, das eine Gewerkschaft vorbereitet hatte. Auf der Bühne gab er den Spielern im Ton eines Regisseurs Anweisungen. Ich saß im dunklen Zuschauerraum. Zwischen einigen anderen Zuschauern. Ich verstand nicht, wie mir geschah, mir stockte der Atem. Es kam mir vor wie ein Traum. Als kennte ich ihn nicht, fragte ich die Umsitzenden, wer er sei. ›Ein bedeutender Regisseur, der so denkt wie wir. Wir haben ihn um Beratung gebeten, und er ist gekommen‹, sagten sie. Du kannst dir selbst denken, was ich gefühlt habe. Sollte ich lachen oder weinen vor Freude? … Doch was habe ich getan? … Gar nichts. Hast du gehört, gar nichts … Ich blieb wie versteinert sitzen. Du wirst sagen, in so einer Lage springt der Mensch doch gleich auf und läuft zu dem Kerl hin, nicht wahr? … Doch ich konnte nicht. Ich war in einem schlimmen Zustand. Ich versuchte noch immer, mich zu bekrabbeln. Ich wollte nicht, daß er mich in diesem Zustand sah … So war das also …«
Was sollte
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