Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Auto, und ich machte sofort, was ich gesagt hatte. Die Stimme am anderen Ende des Telefons ließ wie immer ihren dominanten Wesenszug unauffällig spüren, doch nur diejenigen, die sie gut kannten, konnten das wirklich heraushören.
»Was gibt's, mein Lieber?«
Ich antwortete langsam und deutlich sprechend, als wollte ich eine wichtige Botschaft überbringen:
»Heute abend haben wir einen sehr wichtigen Gast. Er sitzt gerade neben mir. Wir kommen im Auto. Rate mal, wer es ist …«
Es fiel ihr nicht schwer, in solchen Situationen ihre Befähigung zum Humor unter Beweis zu stellen. Sie zögerte nicht und schoß sofort mit der Antwort heraus.
»Süleyman Demirel!«
Ich lachte, wollte aber das Thema nicht weiter ausspinnen.
»Nein, nein, der hier ist nicht so prominent! … Necmi, es ist Necmi … Der Esel hat mich in ganz Eminönü gesucht! … Ich fange ihn ein und bringe ihn mit … Sonst fangen ihn andere ein und bringen ihn weg …«
Dieses Mal war er an der Reihe mit Lachen. Ich konnte dem Ton entnehmen, daß er sich freute. Um meine Entscheidung in bezug auf das Essen zu erleichtern, gab sie in einer gleichsam verschlüsselten Botschaft auf Anhieb das Menü durch.
»Ich habe gefüllte Zucchini und kaşkarikas fertig. Das mag er wahrscheinlich.«
Die Botschaft war angekommen. Zudem war das Menü aus meiner Sicht sehr gut. Weil Necmi meinen Geschmack wahrscheinlich teilen würde, antwortete ich freudig:
»Er mag das … Mach dir keine Sorgen …«
Ich war mir sicher, sie war erstaunt, daß ich derart selbstbewußt war. Anders konnte ich ihr kurzes Verstummen nicht interpretieren. Doch war es noch schöner, nichts zu erklären. Für diesen Augenblick reichte es, Außenstehenden ein beneidenswertes Bild einer glücklichen Familie zu zeigen. Sah sie ebenfalls, was ich sah, fühlte sie, was ich fühlte? … Wer weiß. Vielleicht war die Wahrheit nur meine Wahrheit und die Einsamkeit allein meine Einsamkeit. Was ich in dem Moment nur sehen konnte, war, daß sie das Spiel reibungslos fortsetzen konnte.
»Gut, dann kommt jetzt also. Ich mache gleich einen Salat, einverstanden? Und um den Wein kümmerst du dich.«
Ich vermittelte ihr, daß ich das Nötige schon tun würde, und beendete das Gespräch. Ich schaute Necmi an. Er betrachtete die Außenwelt. War er wieder in einem Gedanken versunken? … Das wußte ich nicht. Doch hatte ich keinen Zweifel, daß er meine Worte gehört hatte. Als Vorbereitung war es am besten, ihm eine Zusammenfassung des Gesprächs zu geben. Eigentlich wollte ich ihn auf die Probe stellen.
»Du hast Glück … Heute abend gibt es ein wunderbares Essen. Mit Hackfleisch gefüllte Zucchini. Aber nach unserer Art, nämlich leicht gesüßt. Hoffentlich magst du das …«
Er guckte. Sein Gesicht drückte Freude aus. Die Freude erschien mir in dem Augenblick etwas schwermütig …
»Das kenne ich doch, Menschenskind! … Und ich bin begeistert davon. Tante Mati hat es ja immer gemacht! … Gibt es dazu auch kaşkarikos ? … Mann, Isi, wie kannst du das vergessen haben? … Ist dein Hirn schon so verkalkt! …«
Mein Test war erfolgreich. Ich grinste. Es war unwichtig, daß er dachte, ich hätte es vergessen. In diesem Moment erinnerte ich mich an noch ein paar Szenen, die wir weit zurückgelassen hatten. Er erinnerte sich sogar an das Gericht namens kaşkarikas , das meine Mutter aus den Schalen der Zucchini gemacht hatte. Damals hatten wir es ihm mehrmals zu kosten gegeben, und jedesmal schmeckte es ihm besser, doch wir hatten ihm irgendwie nicht beibringen können, den Namen richtig auszusprechen. Obwohl ich es ihm ausreichend erklärt hatte. › Kaşkarikas ‹ bedeutete soviel wie ›dünne Schalen‹. Man aß es lauwarm wie Gemüse in Olivenöl … Doch er – vielleicht weil er den Laut nicht richtig kapierte, oder weil er ihn nicht artikulieren konnte, oder aus Spaß, oder weil er mich necken wollte – bestand auf dem ›o‹ anstelle des letzten ›a‹, wodurch das Essen eine ganz andere Bedeutung bekam. Auch wenn ich den Fehler jedesmal verbesserte, das nutzte nicht die Bohne. Jetzt spielte sich dieselbe Szene nach Jahren wieder ab. Doch wie anders waren die Gefühle, die dabei anklangen … Necmi war bei jedem Besuch bei uns vom Essen begeistert gewesen. Einmal hatte er sogar um das Rezept gebeten, aber meine Mutter hatte ihn liebevoll kritisiert und gesagt: »Was für ein Rezept, Bengel! Männer machen kein Essen! Werd mal erwachsen und heirate, dann bringe ich es deiner
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