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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Frau bei!«
    Erwachsen werden, heiraten … Was hatte sie von uns erwartet, was hatten wir erlebt … Ich dachte an das, was wir hinter uns gelassen hatten, oder an das, was wir nicht hatten hinter uns lassen können. Ein erneuter Schmerz durchzuckte mich. Doch ich wollte nicht sehr viel weiter gehen. Ich zog es vor, meine Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle zu verbergen und ihm lächelnd zu sagen, er habe recht, wobei ich wieder den Fehler verbesserte, den er bei dem Namen des Essens gemacht hatte. Er grinste. Vielleicht war das wirklich genug. Außerdem wollte ich ihm von Şebnem erzählen. Wie ich zum Krankenhaus gefahren war, ihr jene Chansons vorgespielt hatte, was ich gesagt und was ich gefühlt hatte und sie hatte fühlen lassen wollen … Er hörte zu, indem er, von mir abgewandt, auf die Straße schaute und mich nicht unterbrach. Still oder erneut in seine innere Stimme vergraben. Als er merkte, daß ich zum Ende gekommen war, kehrte er zurück und legte mir die Hand auf die Schulter. Seine Stimme war wieder sehr freundschaftlich, sehr warm und ermutigend.
    »Alle Achtung! … Dir ist etwas eingefallen, was mir die ganze Zeit nicht eingefallen ist. Musik … Freilich, Musik! …«
    Wir schwiegen. Dann sprach er nachdenklich weiter, wobei er auf die Straße blickte. Es war, als versuchte er zu verstehen und zu sehen.
    »Ich hoffe, das hilft … Hoffentlich … Was hat sie wohl gefühlt? …«
    Daraufhin erzählte ich ihm auch von dem Moment, als ihre Augen feucht geworden waren. Ja, vielleicht war es mir auch nur so vorgekommen. Doch ich wollte mich an diesem kleinen Zittern festhalten. Als er das hörte, legte er mir wieder die Hand auf die Schulter und sagte, daß ich die Sache nicht aufgeben solle. Auch er war bewegt. Wir schwiegen ein Weilchen. Ich wollte mit ihm noch über ein weiteres Gefühl sprechen, es mit ihm teilen. Ich mußte ihn zum Teilhaber meines Gefühls machen, jetzt, am Beginn des gemeinsamen Abends.
    »Ich möchte das, was ich erlebt habe, auch Çela erzählen.«
    Er antwortete nicht sogleich. Es war, als herrschte zwischen uns eine dieser kurzen, tiefen Sprachlosigkeiten. Seine Reaktion war scheinbar knapp und einfach, doch wenn man genau hinschaute, gut hinhörte, stellte er daraufhin eine Frage, die eine lange Erklärung verlangte und viele andere Fragen enthielt. Seine Stimme – so fühlte und erinnerte ich mich mit jedem Moment mehr – war die eines Menschen, der mich wie ein älterer Bruder dazu veranlaßte, mehr nachzudenken, tiefer einzudringen und nachzuforschen. Diese Stimme kannte ich nur allzugut …
    »Was hast du eigentlich für ein Problem?«
    Unschwer konnte ich aus seiner Frage und der Art und Weise, wie er sie stellte, den Schluß ziehen, daß er das ›Geständnis‹ etwas heikel fand. Irgendwie fühlte ich mich gedrängt, eine Erklärung abzugeben, mich zu verteidigen.
    »Ich möchte nicht lügen. Diese Geschichte ist die Geschichte von uns allen.«
    Er setzte sein Verhör fort.
    »Wieso? Fang bloß nicht an, dich hinter der Maske der Aufrichtigkeit zu verstecken. Das ist keine Aufrichtigkeit. Du versuchst, gegenüber deiner Frau Macht zu gewinnen, sowohl durch das, was du getan hast, als auch durch deine sogenannte Ehrlichkeit. Wie wird dein Vorgehen aber wohl aufgefaßt werden? … Deine sogenannte Ehrlichkeit wird bestraft werden. Denn Junge, es geht um eine andere Frau, in was für einem Zustand auch immer … Du fährst ins Krankenhaus, ihr hört zusammen Lieder von früher, ihr werdet gerührt … Nee also! … Wenn du willst, bring Blumen hin und erzähl das auch noch zu Hause! … Sei mal du zuerst ehrlich gegenüber dir selbst! … Warum gehst du dorthin? … Warum gehst du wirklich dorthin? … Um einer alten Freundin zu helfen?… Oder wegen dieses Spiels? … Frag dich mal selbst …«
    Hatte er recht? … Ging ich nicht auch dorthin, um jene Şebnem wiederzufinden, die ich verloren hatte? … Steckte nicht eine unbestimmte Liebe dahinter, von der ich vielleicht nur das Gefühl, die Hoffnung erleben wollte. Wenn es so war, wie wollte ich meiner Frau gegenübertreten, mit der ich so viele Jahre ein ruhiges Leben geteilt hatte, zweifellos auch, weil wir vermieden hatten, in manche Tiefen hinabzusteigen, weil es uns gelungen war, mancher Konfrontation auszuweichen. Würde eine Erschütterung nun eine Reihe anderer nach sich ziehen? Konnte man mein Bestreben wirklich mit dem Streben nach Macht, nach Überlegenheit erklären? … Der Punkt, auf den

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