Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
anderen Straßenseite. Er hatte das Handy am Ohr und blickte grinsend zu mir herüber. Ich sagte schnell, was mir gerade einfiel.
»Gott segne deinen Humor, Mensch! … Komm her! …«
Wir machten unsere Handys aus. Er kam zu mir, weiterhin grinsend. Wir umarmten einander. Mit fast kindlicher Aufregung versuchte er mir zu erklären, wie er mich gefunden hatte, als fühlte er sich zu einer Erklärung verpflichtet.
»Ich wollte dich überraschen. Ich habe versucht herauszufinden, wo der Laden liegt. Es sind ja inzwischen Jahre vergangen, vieles hat sich verändert, und gerade als ich dachte, das wird wohl schwierig werden, da sehe ich dich völlig in Gedanken versunken laufen … Was für ein Zufall aber auch! … Ich sagte mir, dem Burschen folge ich mal, ohne daß er es schnallt, mal schauen, wohin er geht. Als das klar war, habe ich dich halt angerufen …«
In dem Augenblick dachte ich wieder an die Zeit, als er ein paarmal in den Laden gekommen war. Abermals fühlte ich den Abstand. Er hatte davon gesprochen, wie sehr sich der Ort, wo ich einen wichtigen Teil meines Lebens verbrachte, verändert hatte. Das bedeutete, mir, der ich mich seit so vielen Jahren dort aufhalte, war nicht aufgefallen, was sich wie sehr verändert hatte … Dabei bemerkte ich unweigerlich die Arglosigkeit, mit der er sich in dieses kleine Abenteuer gestürzt hatte, um mich zu finden. Wir hatten uns verändert. Doch unsere Erlebnisse hatten uns nicht unsere gewisse Arglosigkeit genommen. Wir konnten diese Tatsache nicht hoch genug schätzen. In dieser Lage war es unvermeidlich, daß die Liebe, die Vertrautheit, in seiner Erklärung auf mich übersprang. Dieses Gefühl hatte zur Folge, daß jener Abend für mich einen ganz anderen Verlauf nahm. Ich konnte schon nicht mehr anders, als ihn diesen Abend zu mir einzuladen.
»Gut gemacht … Ich wollte gerade nach Hause fahren. Los, steig ein und komm mit. Du wirst Çela kennenlernen. Vielleicht ist auch meine Tochter zu Hause. Wir essen und trinken, was da ist.«
Er schien sich etwas zu zieren.
»Ach nein, egal … Ich wollte gerade vorschlagen, daß wir uns beide irgendwo hinsetzen. Ich will eure häusliche Ordnung nicht stören. Ich komme ein andermal.«
Ich blieb stur. Çela war eine Frau, die sich bei solchen plötzlichen Besuchen sehr gelassen verhielt. Ich wollte, daß er das sah und wußte.
»Also komm halt, wenn ich es sage … Wenn es zu Hause nichts zu essen gibt, dann bestellen wir uns was.«
Die Antwort darauf gab er wieder mit diesem ironischen Grinsen, das ich so liebte.
»Was bestellen wir uns denn?«
Da gab es eine große Auswahl. Ich konnte zeigen, daß wir für diesen Fall ebenfalls gerüstet waren.
»Was du willst … Hamburger, chinesisches Essen …«
Er grinste in derselben Weise.
»Also nee, entschuldige mal … Beide kommen ja vom Feind! … Vor allem chinesisch esse ich nie! …«
Ich hatte verstanden. Es war ein Teil des Spiels, in dem wir mit unseren Erlebnissen spielten, nicht anders konnten, als sie spielerisch zu behandeln.
»Schau an! … Chinesisch ißt er nicht! … Was kann man von einem Sozialfaschisten wie dir auch anderes erwarten! …«
Er griff das Motiv auf. Wir hatten eine weitere Brücke zu einem Ort gebaut, wo wir nicht neutral bleiben konnten.
»Das gefällt dir wohl nicht, oder? … Aber Sozialchauvinisten, die so wie du reden, sind später alle kapitalistische Arbeitgeber geworden, oder nicht? …«
Darauf wollte ich dieses Mal gerade eine geharnischte Antwort geben. Er merkte es und stoppte mich. So wie er mich am Abend unseres Wiedersehens beim Einsteigen in mein Auto bei meiner Erwiderung auf seine Worte gestoppt hatte … Zum Zeichen der Kapitulation hob er die Hände. Diese Kapitulation zeigte er jetzt außerdem auch mit Worten.
»Gut, gut, ich komme mit! … Doch du bist dir sicher, ja? … Nämlich so unangemeldet …«
Es war klar, was er sagen wollte. Ich mußte ihn also noch ein bißchen mehr über Çela informieren.
»Mach dir keine Sorgen … Außerdem kennt dich Çela schon gut. Sie weiß, wie sehr ich dich schätze. Ich habe ihr erzählt, daß wir uns wiederbegegnet sind, ich habe ihr ausführlich von dir erzählt. Sie weiß auch über das Theaterstück Bescheid. Sie ist ebenfalls begeistert und will uns helfen. Schau, ich rufe sie jetzt hier vor dir an, komm, sieh selbst …«
Meine Herzlichkeit rührte ihn. Das konnte ich leicht sehen. Sogar hinter seiner Brille, die er wieder nicht abnahm. Wir stiegen ins
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