Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
Vom Netzwerk:
ergaben diese Worte isoliert genommen keinen Sinn. Doch ich hörte nun mal in ihrem Ton die Stimme des mir bekannten inneren Kampfes. In dem Moment wollte auch ich gehört werden. Ich hob mein Glas. Ich wollte es noch einmal aussprechen:
    »Es genügt, wenn wir an diesem Platz uns selbst finden und leben können, wie es uns gefällt … Ein Hoch auf das Leben, Freunde! …«
    Necmi nickte lächelnd, um zu zeigen, daß er meinen Trinkspruch verstanden hatte. Ja, wir tranken auf das ›Leben‹. Diesen Toast hatte ich immer geliebt. Immer … Um jener unerschöpflichen Poesie willen. Nicht nur, weil er aus einem weit zurückliegenden, bitteren Erbe stammte, sondern weil ich glaubte, er paßte gut zum Gefühl des Alkohols; weil er mich daran erinnerte, daß ich das, was im Licht der Traditionen gelehrt, überliefert wurde, die Freude in der Trauer, bewußt in mir entdeckt hatte, sowohl den Protest als auch die Gleichgültigkeit gegenüber dem Verlorenen, und weil in ihm vom Aufschrei bis zum tiefen Schweigen alles enthalten war … In dem Augenblick tranken wir drei ›aufs Leben‹. Auf unsere Leben … Noch einmal bis an die Grenzen gehen … Wo waren wir? … Bis wohin waren wir gekommen? … Bis wohin würden wir gehen können? … Die vor uns liegenden Tage würden zweifellos auch die Antworten auf diese Fragen bringen … Wir schwiegen … Wenn sie mich gelassen hätten, wäre ich selbst in diesem Moment in der Bewegung dieses Gefühls in Gedanken irgendwohin abgedriftet. Als wollte Çela die Stimmung zerstreuen, in die uns das plötzlich aufgekommene kurze, aber tiefe Schweigen versetzt hatte, spielte sie wieder ihre Überlegenheit aus.
    »Ich schaue mal nach dem Essen … Ihr könnt ein wenig unter vier Augen reden, Jungs. Wir haben genügend Zeit. Die Nacht gehört uns.«
    Sie lächelte uns beiden zu, als wollte sie die Rolle auskosten, die sie sich selbst zugeteilt hatte. Sie scheute nicht mal vor dieser liebenswürdigen Strenge zurück …
    »Ich bringe euch ein wenig Käse. Aber trinkt nicht gleich soviel. Ich will keine betrunkenen Männer im Haus haben …«
    Natürlich lachten wir wieder ein bißchen. Ich durfte nicht ungerecht sein. Sie tat alles, um uns beiden und sich selbst die besten Bedingungen zu schaffen … Dann verließ sie den Salon. Ich schaute Necmi an. Wieder lächelte er liebevoll. Er sagte, was man üblicherweise sagte:
    »Eine gute Frau … Hoffentlich weißt du, was du an ihr hast.«
    Daraufhin sagte ich das, was ich daraufhin sagen mußte.
    »Wirklich eine gute Frau. Sie schätzt dich sehr. Denn sie merkt, wieviel du mir wert bist.«
    Er entschied sich, dem schweigend zuzustimmen. Indem er leicht nickte … Dann fragte er, ob ich nun erzählen wolle oder nicht. Ich mußte mich nicht allzusehr anstrengen, um zu verstehen, daß er herauszubekommen versuchte, von wem, wie und wieviel ich erzählen wollte. Ich sagte, ich wolle erzählen. Er sagte nichts. Ich war nach wie vor überzeugt davon, daß der Grund für seine nochmalige Frage, ob ich nun von Şebnem erzählen wolle, nicht allein der war, mich zu warnen und zurückzuhalten. Doch ich wußte nicht, wie ich das in Worte fassen sollte, was ich fühlte. Ich wußte lediglich und konnte mir sagen, er würde mich an diesem Abend auf dem Weg zu meinem ›Geständnis‹ trotz aller Zweifel nicht allein lassen. Genau in diesem Moment betrat Çela mit dem Käseteller in der Hand den Salon. Wir unterbrachen sofort das Gespräch. Als hätte sie uns auf frischer Tat ertappt. Ich versuchte mit einem kleinen Scherz die Peinlichkeit zu überbrücken.
    »Wir haben über dich hergezogen.«
    Auf so eine Neckerei mußte meine Frau natürlich reagieren. Während sie den Teller auf den kleinen Beistelltisch zwischen uns stellte, gab sie ihre Antwort, wobei sie Necmi mit leicht verführerischem Ausdruck anschaute.
    »Das macht er immer. Das ist bei uns so üblich …«
    Zufrieden mit ihren Worten, ging sie schnell wieder hinaus, als wollte sie ausdrücken, daß sie möglichst nicht länger bei uns bleiben wollte. Wir waren wieder allein. Ich wollte noch einmal auf das ›Spiel‹ zu sprechen kommen. Ich konnte mich nicht erinnern, wo ich den Text verwahrt hatte. Doch ich würde ihn ganz bestimmt finden. Er war sicher irgendwo im Haus. Vielleicht mußte man ein paar Veränderungen vornehmen. Wir konnten jene Tage wiederaufleben lassen. Trotz des großen Zeitabstands … Wir versenkten uns ins Gespräch, indem wir manche Szenen des Stücks, an die wir uns

Weitere Kostenlose Bücher