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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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will, jemanden überreden will, verführen. Wenn er sich die Ohren zuhält, wird die Stimme lauter.
    Lumpenpack, ruft er laut, und sie verstummt. Er schließt die Augen voller Furcht, noch mal einzuschlafen. Seinen Spazierstock sieht er vor sich, der irgendwo zwischen vertrocknetem Laub im Wald liegt, nach der flüsternden Nacht kehrt mit dem Morgengrauen endlich Ruhe ein im Unterholz. Und mein Vater beginnt seine Runde. Die Wärme des anbrechenden Tages liegt bereits in der Luft. Er zieht den quietschenden Trolley hinter sich her, stopft die Zeitungen in die Briefschlitze und Boxen, während sich im Osten die Sonne schnell vom Horizont löst, das unselige Paar Grams und Klobbe sich Raum verschafft in seinem Kopf, sie leuchten auf wie die glühenden Männer aus der Sage – die ihm seine Mutter erzählt hat –, die nachts aus den Sümpfen steigen im Böhmerwald, über die Wiesen irren und jeden, dem sie begegnen, in den Wahnsinn treiben und dabei selbst nur nach Erlösung suchen.
    In Anzug und Krawatte steht er auf der Terrasse. Das Jackett ist ihm zu weit, Hemd und Unterhemd rutschen ihm ständig aus der Hose, der Knoten der Krawatte schneidet in die schlaffe Haut seines Halses. Nach dem Zeitungaustragen hat er geduscht, bis dem Boiler das Warmwasser ausging und er unter dem kalten Strahl stand und sich wieder und wieder einseifte und meinte, den Geruch der Druckerschwärze nicht abzubekommen – dabei kann er nicht sagen, wie Druckerschwärze riecht; danach hat er das Parfum aufgelegt, das ich ihm geschenkt habe vor Jahren, der Flakon ist noch fast voll. Er kann von der Terrasse aus die Dachfirste der dreistöckigen Sozialbauten im Batschkaweg erahnen, in einem davon hat Klobbe mit seinen Eltern und seinem Bruder gewohnt. Das Haus der Grams’ liegt am anderen Ende von Gefrieß.
    Dass er gar keine Zeit gehabt hat, an sie zu denken. Er sieht sie an Orten und in Zeiten, von denen er sicher ist, dass er nicht dabei war; wie ihm meine Mutter das erste Mal mit ihrem schiefen Lächeln erzählte von Grams, dass er etwas Besonderes sei und er ihn unbedingt kennenlernen müsse, dass sie noch nie jemanden gekannt habe, der so unbedingt frei sein wolle wie er, den das ganze Geld seiner Eltern nicht interessiere – und mein Vater dachte: Wenn er’s hat, braucht er sich auch nicht dafür zu interessieren.
    Auf der Terrasse stehend, erkennt mein Vater erst beim zweiten Läuten, dass an seiner Tür geklingelt wird. Durch den Flur blickt er zur Wohnungstür, der Umriss der Person davor ist zerrissen vom Reliefschliff im Sicherheitsglas.
    Ich dachte, sagt Theresa und reicht meinem Vater einen Strauß Blumen: wenn Sie schon nicht rauskommen mögen zu mir.
    Ihr Wagen steht gegenüber am Straßenrand.
    Fahren Sie wieder in die Stadt? fragt mein Vater, und sie schüttelt den Kopf. Sie hält immer noch die Blumen am ausgestreckten Arm, sie blickt über die Schulter zu ihrem Wagen und wieder zu meinem Vater.
    Ich hab gleich noch einen Termin, sagt er.
    Sie haben viele Termine für einen Rentner, sagt sie, und mein Vater überlegt, die Tür zuzuwerfen. Er hat nicht abgespült, der Fußboden in der Küche ist übersät mit Kaffeeflecken, Staubmäuse haben sich in den Ecken gesammelt, die Blumen auf dem Fenstersims sind welk, die Erde in den Töpfen schimmlig.
    Ich bin unterwegs zu einem Züchter wegen einem Hund, sagt sie: ich bin zu früh dran.
    Wie er an ihrer Hintertür gewartet hat, um bezahlt zu werden, erinnert er sich.
    Verstehen Sie was von Hunden? fragt sie.
    Ich weiß, wo sie vorne und hinten haben, sagt er.
    Ist schon gut, sagt sie: ich dachte nur.
    Er nimmt ihr den Strauß ab und riecht an ihm; wie die Stauden und Rabatten sich im Wind bewegen, ihr Rauschen von fern, der Wechsel der Farben auf dem Feld. Er fragt sich, ob er es sich nicht doch hätte leisten können, auch dieses Jahr ein kleines Blumenbeet anzulegen im Garten vor dem Küchenfenster. Weil ja sowieso alles umsonst war.
    Sie tragen jetzt Zeitungen aus, sagt sie.
    Aushilfsweise, sagt er.
    Ich musste meinen Mann früh zum Flughafen bringen letzte Woche, sagt sie: da haben wir Sie gesehen. Er ist für sechs Wochen in China. Bei ihm ist jetzt Abend. Wenn ich ins Bett gehe, steht er mit einem Kater auf, die trinken viel, die Chinesen, sagt mein Mann, und rauchen noch mehr.
    Nebenan kommt der alte Fischer aus seinem Haus, wirft die Tür hinter sich ins Schloss und geht grußlos vorbei. Er erkennt meinen Vater nicht mehr, erinnert sich nicht an die Jahre nebeneinander.

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