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Wo wir uns finden

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Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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Die Strecke, die er seit vierzig Jahren jeden Tag spaziert, vergisst er nicht.
    Theresa wendet den Kopf und schaut dem alten Mann hinterher, der die Ausfallstraße hinabgeht, fast in den Straßenrand stolpert und ruckartig stehen bleibt, seine Richtung korrigiert und weitergeht.
    Mein Vater war über sechzig, als ich geboren wurde, sagt Theresa, er hatte den gleichen Gang wie der, weil seine Knie kaputt waren, konnte er sich nicht nach mir bücken und mich aufheben, bin ich mal hingefallen.
    Den Weg vom Bahnhof zum Amtsgericht hat er kürzer in Erinnerung gehabt. Wegen Theresa hat er den frühen Zug verpasst, alle Fußgängerampeln zeigten Rot, er konnte nicht schneller gehen, die Blase an der Ferse hat sich wieder gebildet und ist nochmals aufgeplatzt. Bei jedem Schritt hält er kurz inne, wie um den Schmerz hinauszuzögern. Fluchend geht er durch die gekachelten Gänge des Amtsgerichts, neben den unzähligen Türen sind Stühle an den Wänden aufgereiht. Ich blöder Hund, flüstert er, den Ordner mit den Unterlagen, den er sich am Morgen rausgelegt hat, hat er doch auf dem Küchentisch vergessen.
    Wär die dumme Kachel mit ihren Blumen nicht vorbeigekommen, denkt er. In dem alten Gebäude ist es trotz des warmen Wetters kalt, seine Schritte hallen in dem menschenleeren Flur, er friert und erinnert sich, wie ihm die Hitze in der Gießerei den Atem genommen hat in den ersten Tagen seiner Lehre, wie sie noch unbegreiflicher wurde, schoss das leuchtende Metall in die Pfanne, eine alles einnehmende Wand aus unsichtbarem Feuer; an seinen Lehrmeister, der nie den Stumpen aus dem Mundwinkel nahm und Eisen zu schwitzen schien, dem selbst die verrußten Haare schimmerten, als bilde er Schuppen aus Metall auf dem Kopf und nicht aus Haut; an die dröhnende, funkensprühende Hölle der Werkhalle, die er geliebt hat, wenn er sie am Feierabend verließ, weil etwas von ihm Geformtes darin entstanden war für alle Zeit. Dass die hier bestimmt kein Bier im Getränkeautomaten haben, denkt er, als er vor der Tür mit der Nummer steht, die auf dem Schreiben angegeben ist. Die beiden Männer lachen, als mein Vater eintritt.
    Entschuldigen Sie, sagt mein Vater.
    Dafür nicht, sagt der Rechtspfleger: Suchovski, sagt er und reicht meinem Vater über seinen Schreibtisch hinweg die Hand, der sie nimmt und: Dix, antwortet, den Blick aber nicht von Harald Grams lässt, der aufgestanden ist und sich ihm zugewandt hat. Sie begrüßen einander. Mein Vater sucht in Harald Grams’ Gesicht und Haltung nach einer Ähnlichkeit mit Frank Grams.
    Er erklärt, nach welchen Kriterien der Wert des Hauses bestimmt wurde. Suchovski malt mit einem Füller die Karos eines karierten Blattes aus, dass sie sich zu einem Muster verbinden. Während Grams von Bodenrichtwerten, Marktfaktoren und Liegenschaftszinssätzen spricht, blickt ihm mein Vater ins Gesicht.
    Herr Dix? fragt er und wischt sich mit einem Stofftaschentuch übers Gesicht.
    Herr Grams? sagt mein Vater.
    Alles in Ordnung? fragt er.
    Kennen Sie einen Frank Grams? fragt mein Vater, und Harald Grams zieht die Stirn kraus und schüttelt den Kopf: Warum fragen Sie?
    Einen Karl Klobedanz? fragt mein Vater, und wieder schüttelt der Gutachter den Kopf, blickt zu Suchovski und zurück zu meinem Vater.
    Wir sind hier doch nicht im Einwohnermeldeamt, Herr Dix, sagt Suchovski mit einem Lächeln: Platz für Privates ist vielleicht noch hinterher.
    Mein Vater schweigt und schluckt, unterdrückt seinen Husten und fragt sich, warum man ihm kein Wasser anbietet, steht doch vor den beiden anderen jeweils ein Glas.
    Den Angaben aus den Unterlagen des Kollegen, der den Ortstermin für die Bank damals wahrgenommen hat, schenke ich natürlich glauben, sagt Harald Grams: demnach ist das Haus in einem einwandfreien Zustand.
    Er blickt kurz zu meinem Vater und nickt: Keine Steuern, keine Rechte Dritter lasten auf dem Besitz, er stockt, bevor er fortfährt: und beachtet man den Mietspiegel, alles wunderbar – hunderttausend Euro setzen wir an.
    Er lächelt wie ein Zahnarzt, der Dankbarkeit erwartet, dass er nicht bohren muss.
    Später kann mein Vater sich nicht mehr erinnern, wie er zum Bahnhof gekommen und nach Gefrieß gefahren ist. Am Bankautomaten, wo er fünfzehn Euro holen will, um einzukaufen, gibt er die Geheimzahl falsch ein. Er schwitzt und überlegt, hinter ihm räuspert sich ein Mann, bis ihm die richtigen vier Ziffern wieder einfallen beim dritten Versuch. Es ist Mittag durch, als er zu Hause ankommt, wo er

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