Woelfe der Macht
dass sie nicht gefährlich war. Als Dorothea, Joels Ärztin, vor ein paar Jahrzehnten neu zu den Raben dazugestoßen war, hatte Amam eine schlimme Entzündung im Oberschenkel gehabt.
Zuerst hatte er es einfach nicht beachtet, aber mit der Zeit nahmen die Schmerzen zu, bis er sich kaum noch auf seine Arbeit konzentrieren konnte. In seinem Zimmer war er irgendwann eingeschlafen, und als er wieder erwachte, war sein Bein mit Kräuterkompressen versorgt und Dorothea schimpfte ihn wegen seiner Halsstarrigkeit aus. Sie hatte kein Wort über seine weibliche Seite verloren und er war ihr sehr dankbar dafür.
»Ich habe den Auftrag, ihn zu beschützen.« Mit meinem Leben, falls das nötig ist . Cassandra nickte nur und wischte mit einer Kompresse etwas von dem Blut weg. Die Wunde hatte sich an den Rändern schon wieder geschlossen und würde innerhalb der nächsten Stunden komplett verheilt sein.
Sein Stoffwechsel war besser als der, der anderen Mythengeschöpfe. Selbst Wölfe benötigten nach einer Verletzung mindestens zwei oder drei Tage, bis die Wunde wieder komplett verheilt war. Wenn es eine schwere Verletzung war, sogar noch länger.
»Wie lange passt du schon auf ihn auf?« Sie sah konzentriert auf seine Schulter, während sie den Verband anlegte. Ihre Finger waren kühl, aber sehr sanft und darauf bedacht, ihm keine weiteren Schmerzen zuzufügen.
»Ein paar Jahrhunderte.« Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an. Dann entspannte sie sich wieder und schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ich vergesse immer wieder so schnell, dass wir unsterblich sind.« Sie war also noch jung. Aber die Unsterblichkeit musste sie schon erreicht haben, sonst hätte sie bei dem Kampf ganz anders reagiert. Allerdings fehlte ihr der typische Geruch eines Wolfes. Diese Frau war ein wandelndes Rätsel.
Zuerst hatte er gedacht, eine leichte Marke zu erkennen, aber die kam von diesem Alexej, den sie begleitet hatte. Cassandra schien überhaupt keine Marke zu besitzen. Ein seltsames Wesen.
»Zu welcher Sorte gehörst du?« Cassandra sah ihn fragend an, und als er nicht antwortete, zog sie die Augenbrauen hoch. »Entschuldige. War das diskriminierend? Ich bin noch nicht so lange ... involviert.« Er lachte herzlich. Es war erfrischend, einen kleinen Neuling kennenzulernen, der noch nicht so abgestumpft war, wie die anderen. Er selbst war auch mal so gewesen, wobei er seine Neugier hinter gespielter Langeweile versteckt hatte.
»Nein, nein. Kein Problem. Ich bin ich. Wahrscheinlich einzigartig.« Sie sah ihn verwirrt an und ihre Stirn runzelte sich immer mehr. Wenn sie so weiter machte, würde sie bald viele Falten bekommen.
»Wie meinst du das?« Er sollte es eigentlich nicht verraten, aber etwas an ihrer Art ließ ihn einfach die Worte aussprechen. Er hätte sie nicht in tausend Jahren zurückhalten können.
»Gott selbst hat mich unsterblich gemacht.« Zu seiner grenzenlosen Überraschung war sie nicht sonderlich verwundert.
»Das hat er bei einer Freundin auch, aber sie ist trotzdem ein Wolf.« Das konnte er sich nicht erklären. Aber wer war er schon, Gottes Wille in Frage zu stellen? Also zuckte er nur mit den Schultern. Diese Bewegung war schmerzhafter, als erwartet. »Ist er einfach so erschienen und hat gesagt jetzt bist du unsterblich oder musstest du etwas dafür tun?«
Sterben , dachte er. »Bitte erzähl es mir. Ich komme um vor Neugier.« Sein Blick wanderte durch die abgedunkelte Scheibe zu Joel. »Keine Sorge. Ich verrate nichts. Versprochen.« Ohne sie anzusehen, begann er seine Geschichte zu erzählen.
»Ich stamme aus einer alten Assassinen-Familie. Ich war das einzige Mädchen unter drei Brüdern und wurde zusammen mit ihnen von meinem Vater unterrichtet. Wir waren gefürchtet. Diese Furcht ging so weit, dass man uns eine Falle stellte, in deren Verlauf meine ganze Familie ausgelöscht wurde.« Er machte eine kurze Pause und sah Cassandra dann direkt in die Augen. »Ich lag damals auch im Sterben. Diese räudigen Aasgeier haben uns einfach abschlachten lassen, ohne dass wir auch nur eine Möglichkeit zur Gegenwehr gehabt hätten. Dann tauchte Gott auf und schlug mir einen Deal vor. Wenn ich mich Joel anschließen würde, könnte er mir ewiges Leben schenken. Natürlich hab ich angenommen.« Von dem kleinen Haken, die die Abmachung hatte, erzählte er der Rothaarigen nichts.
»Und warum verkleidest du dich als Mann?« Er verdrehte die Augen.
»Glaubst du, mich hätte damals jemand als Leibwächter aufgenommen,
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